Sophie Jungschaut sich in Berlins Galerien um:
Auf dem Kunstmarkt zählt das Original. Charlotte Posenenske unterwanderte aber in den späten Sechzigerjahren mit industriellen Artefakten die Idee von der Einzigartigkeit des Kunstwerks. Ihre Wandreliefs, Rohrkonstruktionen oder Schwingtüren sollten allein durch die Herauslösung aus ihrer alltäglichen Funktion als ein ästhetischer Gegenstand erkennbar sein. In der Galerie Mehdi Chouakri in der Mommsenstraße sind nun zwei Variationen aus Posenenskes Vierkantrohrserie zu sehen. Als befände sich unter dem engen Ladengeschäft eine unterirdische Produktionshalle, ragen die falzenverschraubten Blechhälse von Posenenskes Prototyp D aus dem schwarz gebohnerten Dielenboden heraus wie eine Lüftungsanlage. Dennoch, gut 35 Jahre nach dem Tod der Künstlerin, hat sich eine ganz eigene Definition vom Original ihrer Arbeiten entwickelt: Obwohl ihre Typen bis heute in kontrollierten Mengen hergestellt werden, sind es nun die Produktionen aus der kurzen Schaffenszeit der Künstlerin, denen das für den Kunstmarkt so wichtige Prädikat des Originals anhaftet. Genau aus dieser Zeit, von 1967, stammen die vier schon etwas angerosteten Elemente bei Mehdi Chouakri, deren Ausstellung der Galerist schmunzelnd als Pièce Unique betitelt (bis 2. 8., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Mommsenstr. 4).
Die Idee der Einzigartigkeit von Künstler:innen und Kunstwerken hinterfragt auch die Galerie Wentrup mit „Copines – Copains“, denn hier geht es nicht um Alleinstellung, sondern um Freundschaften. Das Konzept ist so einfach wie ästhetisch erhellend: Künstler:innen aus dem Programm der Galerie zeigen eine Arbeit jeweils neben derjenigen eines/r befreundeten Künstler:in. So hängen Bernd Koberlings mäandernde Farbsynapsen in 2D neben Olaf Metzels zerfalteten Bodenmustern in 3D, und ein Kunstharzbuch mit durcheinandergewirbelten Buchstaben von Mariechen Danz liegt auf dem Podest, das von der Augenwimper-Sammlung von Sarah Ancelle Schönfeld förmlich beäugt wird (bis 3. 8., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Knesebeckstr. 95).
Bei Zilberman hingegen sinkt man ein in die feine, melancholische Zwischenwelt der türkischen Künstlerin Burcak Bingöl. Zerbrochene Plastiken und bröckelnde Wandarbeiten aus Keramik, Steine, Scherben und Trockenblumen verteilte sie über die schattigen Räume der Galerie und machte das bürgerliche Appartement zu einer Ausgrabungsstätte, in der an Bruchstellen von Tontöpfen und abtastbaren Blumenabdrücken Istanbuler Erinnerungen wieder wach werden. Der Dielenboden knarzt und Zeitschichten kommen hervor (bis 27. 7., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Goethestr. 82).
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