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Archiv-Artikel

Im Flugzeug erfroren

VON STEFFEN GRIMBERG

Einen Tag nach dem Absturz des Helios-Flugs ZU 522 haben sich gestern die Crews der zyprischen Airline geweigert, ihren Dienst anzutreten. Die zyprische Nachrichtenagentur CNA berichtete vom Flughafen Larnaka, eine Maschine nach Sofia stehe seit drei Stunden auf dem Flugplatz, weil Piloten und Kabinenpersonal nicht einsteigen wollten. Im Tagesverlauf habe die Fluggesellschaft dann entschieden, alle Flüge aus Larnaka bis auf weiteres abzusagen. Dagegen hieß es gestern auf der Helios-Homepage, man fliege „trotz der schrecklichen Tragödie“ nach Plan.

Beim Absturz des Helios-Flugs bei Athen waren am Sonntag alle 121 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Über die Unglücksursache gab es gestern keine klaren Aussagen. Die Flugschreiber der Maschine vom Typ Boeing 737 werden derzeit in Frankreich untersucht. Sofort nach dem Absturz hieß es, ein plötzlicher Abfall des Kabinenluftdrucks könnte wesentliche Ursache des größten Unglücks in der griechisch-zypriotischen Luftfahrtgeschichte sein. Experten bezweifelten gestern aber diese Darstellung: „Je mehr Fakten wir bekommen, desto mysteriöser wird das Ganze“, hieß es bei der deutschen Pilotengewerkschaft Cockpit. „Ein plötzlicher Rückgang des Kabinen-Drucks allein könne die Katastrophe nicht ausgelöst haben, sagte Cockpit-Sprecher Markus Kirschneck der Agentur Reuters. So etwas würde weltweit einmal pro Woche in einem Flugzeug vorkommen und sei „absolut beherrschbar“. Die Frage sei, warum nach dem offensichtlichen Druckverlust die Piloten des Helios-Flugs handlungsunfähig gewesen seien. „Ein Druckabfall an sich ist kein Absturzgrund. Wir Piloten trainieren einen solchen Vorfall jedes Jahr im Simulator.“

Die für solche Notfälle vorgesehenen Sauerstoffmasken waren auch bei der abgestürzten Maschine aktiviert. Zudem gibt es zwei getrennte Sauerstoffsysteme – eins für das Cockpit und ein weiteres für die Passagierkabine. Mehrere Experten berichteten gestern übereinstimmend, nach internationaler Sicherheitspraxis würden die Piloten bei Druckabfall umgehend auf 3.000 Meter sinken. In dieser Höhe funktioniere die Atmung wieder normal und die Temperaturen seien für kürzere Zeit aushaltbar. In einer Reiseflughöhe von 10.000 Metern herrschen dagegen 40 bis 50 Grad Kälte. Da der rettende Sinkflug ausblieb, sollen nach griechischen Medienberichten alle Insassen der Maschine daher bereits vor dem Absturz erfroren sein.

In Zypern wurden gestern schwere Vorwürfe gegen die private Fluglinie erhoben, die seit 2001 mit heute vier Flugzeugen Strecken unter anderem nach London, Athen, Sofia und Warschau betreibt. In den vergangenen zwei Jahren habe es immer wieder Probleme auf Helios-Flügen geben, zitierte die Cyprus Mail unbestätigte Quellen. Bereits im Dezember 2003 musste ein Helios-Jet wegen abfallenden Kabinenluftdrucks notlanden und die Passagiere behandelt werden. Derzeit ist unklar, ob es sich um die jetzt verunglückte Maschine, eine 1999 gebaute und 2004 von Helios übernommene Boeing 737-300, handelte. Fest steht, das das Flugzeug in jüngster Zeit Probleme mit der Klimatisierung hatte. Mehrere Fluggäste berichteten über extrem heiße Kabinen auf diversen Flügen. Nach Helios-Angaben sei die Anlage aber repariert worden. „Das Flugzeug wurde gemäß den internationalen Vorschriften überprüft, war voll einsatzfähig, bevor es startete“, erklärte gestern die Fluggesellschaft.