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Archiv-Artikel

Eine Sache des schnellen Profits

Chen Mengcang

Jahrgang 1981, ist Redakteur und Journalist beim chinesischen Webportal Netease (Wangyi) in Peking. Dieses ist vergleichbar mit den Internetportalen GMX oder Yahoo!.

VON CHEN MENGCANG

Lesen wird als eine noble Sache betrachtet. Aber immer weniger Leute schenken dieser noblen Sache Beachtung. Aufgrund von Facebook und Twitter wird Lesen zum bloßen Instrument.

In China war Lesen immer stark mit einem Hang zum Kollektivismus verbunden. Egal ob man früher Autoren las, die über Liebe zum Vaterland und zur Partei schrieben, oder heute Enthüllungsbücher zur chinesischen Geschichte oder über Wirtschaftsmanagement – die ganze Bevölkerung liest anscheinend immer zur gleichen Zeit die gleiche Art von Büchern.

Mit der Bertelsmann-Stiftung bin ich seit meiner Kindheit verbunden. Ich bin in einer kleinen Stadt geboren, dort gab es nur die staatlichen Buchläden des Xinhua-Verlags. Sie verkauften hauptsächlich Lehrmaterialien, der Rest des Angebots war wenig attraktiv. Als Bertelsmann in China einen Buchklub gegründet hat, konnte man sich auf postalischem Wege Bücher bestellen, die man in kleinen Städten normalerweise nicht erhielt. Bertelsmann wurde zum Evangelium für Kinder in kleinen Städten.

Als Bertelsmann in China seine Geschäfte aufnahm, war eines der meist beworbenen Bücher der Titel „Revolution des Lernens“. Es kam der chinesischen Vorliebe für kurze Wege sehr entgegen. Jeder wollte durch das Lesen eines solchen Buchs sofort Erfolg haben. Später ist Bertelsmann dann im sich immer weiter öffnenden chinesischen Markt untergegangen. Lesen ist aber für Chinesen immer noch eine Sache des schnellen Profits.

Was eine Gesellschaft liest, ist ein Spiegel der Gesellschaft. Als Hongkong für Chinesen geöffnet wurde, kauften sie wie wild in den überfüllten Buchläden von Mongkok und Causeway Bay Bücher über die geheime Politik der Volksrepublik, obwohl viele dieser Publikationen offensichtlich nur Gerüchte enthalten. Dieses Verhalten kann man gut verstehen. Denn die Menschen haben keine Chance, über normale Kanäle an wahrheitsgemäße Informationen zu gelangen. Deshalb sind Bücher über Geschichte so im Kommen.

Jeder wollte sofort Erfolg haben

Ein Freund von mir ist ein Fan von solchen Büchern. Er hat nur die Grundschule besucht, nun besitzt er eine große Futterfabrik und ist als Investor in der Immobilienbranche tätig. Er hat ein Vermögen von 100 Millionen chinesischen Yuan erwirtschaftet. Aber was sein Bildungsniveau angeht, leidet er unter einem Minderwertigkeitskomplex. Deswegen ließ er in seinem Büro ein gigantisches Bücherregal aufstellen, in dem er außer Büchern über politische Geheimnisse etliche klassische Geschichtsbücher und die wichtigsten ausländischen literarischen Meisterwerke gleich in Serien präsentiert.

Irgendwann haben die chinesischen Verlage die Serien als kommerzielle Chance erkannt. Sie verpacken sie prächtig und pompös, um die Bedürfnisse der Neureichen mit relativ niedrigem Bildungsniveau zu befriedigen. Das ist Chinas Realität. Man ist beim Lesen eher auf etwas Nützliches aus.

Aus dem Chinesischen von Kristin Kupfer und Liu Feng