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Archiv-Artikel

Schule: Bratislava oder Preßburg

Schulatlanten verwenden noch alte deutsche Städtenamen. So will es ein Beschluss der KMK

Schulbücher im Fach Geografie und Schulatlanten haben einen unschätzbaren Vorteil: Sie befähigen zukünftige Historiker unter den Schülern, alte Quellen zu lesen. Denn die Hauptstadt der Slowakei heißt hier „Preßburg“ – so lautete der offizielle Name bis zum Ende der K.-u.-K.-Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg. Estlands Hauptstadt trägt in deutschen Geografiebüchern und Schulatlanten den alten deutschen Namen „Reval“ statt dem aktuellen Namen „Tallin“. Und Sloweniens Hauptstadt heißt „Laibach“ statt „Ljubljana“. In Polen lernen die Schüler „Stettin“, „Oppeln“ und „Danzig“ kennen, in Russland „Königsberg“.

Erweist sich das Schulwissen beim Studium historischer Quellen als nützlich, so versagt es im praktischen Leben: Nachrichtenagenturen verwenden ebenso wie Reiseveranstalter und Sportvereine für osteuropäische Städte längst die aktuellen landeseigenen Namen, abgesehen lediglich von „Prag“, „Warschau“ und „Moskau“. Wegweiser in Osteuropa, der nach „Königsberg“, „Wilna“, „Brünn“ oder „Kaschau“ führen, sucht man vergebens. Als US-Präsident George Bush die slowakische Hauptstadt Bratislava besuchte, hatten viele deutsche Schüler ein Problem, die Nachrichten überhaupt zu verstehen. Denn die hatten für die Donaumetropole den Namen „Preßburg“ gelernt.

Wer bei Städtenamen nur auf sein Schulwissen zurückgreifen kann, wird auch die Werbung der Billigflieger auf riesigen Plakatwänden nicht verstehen. Auch deren Wortspiele wie „Ljubljanalein“ sind mit Schulweisheiten nicht zu entschlüsseln.

Dass ausgerechnet Schüler noch den Schnee von gestern lernen, liegt an der Kultusministerkonferenz (KMK). Die verpflichtete 1991 per Beschluss Hersteller von Unterrichtsmaterial, entsprechend den internationalen Gepflogenheiten die herkömmlichen deutschen Namen für Städte außerhalb der Bundesrepublik zu verwenden, „unter Zusatz des landeseigenen Namens“ in Klammern. Der Zusatz kann aber wegfallen, so steht es in der Verordnung, wenn die Schulbücher und Atlanten dadurch an Übersichtlichkeit verlieren. Und das ist bei Karten mit vielen Städtenamen schnell der Fall.

Nach der Verordnung verfahren alle Schulbuchverlage. Eine Schule, die einen zeitgemäßen Schulatlas bestellen will, wird auf dem Markt keinen finden. 1993 wurde der KMK-Beschluss noch einmal bestätigt. Und 1997 fand ein Antrag von Brandenburg, die Regel einfach umzukehren und die aktuellen Städtenamen in die Bücher und Karten zu schreiben, die alten deutschen und österreichischen Namen in Klammern fakultativ dazu, keine Mehrheit unter den deutschen Kultusministern. Denen liegt offensichtlich der Historikernachwuchs mehr am Herzen als der zeitgemäße Austausch mit Osteuropa.

Die Geschäftsstelle der KMK lehnt eine Stellungnahme zu dieser Verordnung ab. Hinter vorgehaltener Hand halten selbst einige Schulbuchverlage die Bezeichnungen für nicht mehr zeitgemäß. Offen sagt das kein Verlagshaus. „Wir richten uns nach der Verordnung der Kultusministerkonferenz“, lautet das offizielle Statement einer Sprecherin des Ernst Klett Verlages in Stuttgart, der Lehrmaterialien für den Geografieunterricht herstellt.

Im Juni 2019 begeht die Welt den 100. Jahrestag des Versailler Vertrages. Vielleicht nutzt die KMK Jubiläum, endlich „Bratislava“ statt „Preßburg“ zuzulassen? Nach 100 Jahren einen traditionellen Namen aufzugeben, wäre selbst für unbewegliche Kultusminister zumutbar. Auch wenn dann „Szczecin“ und „Tallin“ noch lange auf ihren richtigen Namen warten müssen. Aber glücklicherweise nur in Schulbüchern. MARINA MAI