: Kein Kleidertyp
Unter ihrem Schutz will der stärkste Held seine schwache Seite ausleben. Wiebke Puls spielt in München die Kriemhild und in Worms die Brunhild
Von SIMONE KAEMPF
Das Brautwerben ist in den „Nibelungen“ eine ziemlich ernste Sache. Vorher quälen einen Alpträume, hinterher ist man tot – oder wie Kriemhild im Rachefuror gefangen. Da bleibt wenig Platz für Scherze. Es sei denn, man heißt Wiebke Puls und arbeitet mit einem Regisseur wie Andreas Kriegenburg, der den Schauspielern Platz freiräumt, um schwere Mythen spielerisch zu materialisieren. Den von der schönen starken Frau zum Beispiel.
Gleich in ihrem ersten Auftritt als Kriemhild bürstet sich Wiebke Puls pantomimisch das viel längere Haar, als sie in Wirklichkeit hat. Die groteske Ausgangslage wird in der Hochzeitsnacht auf die Spitze getrieben. Siegfried tauscht mit ihr Text und Textilien, um ins Brautkleid geklemmt seine feminine Seite auszuleben. Als ob sich unter dem Schutz dieser Frau die Schleusen geöffnet hätten und sich die Veranlagung jetzt besser beichten ließe. Das scheint das Los einer Schauspielerin zu sein, deren 185 cm schlanke Körpergröße keiner Mädchen- und Frauenrolle im Weg steht und die dennoch immer signalisieren muss: ich tue nichts, ich beiße nicht.
Fast in allen Stücken am Hamburger Schauspielhaus, in denen die 31-Jährige in den vergangenen Jahren dabei war, spielten sich die Geschlechterkriege deswegen rührend-friedlich ab. Als Älteste der „Drei Schwestern“ tauschte sie ihren Rock gegen einen Hosenanzug, um sich ein Stück weit von der Sehnsucht nach einem Mann zu erlösen. Sie war die „Frau vom Meer“, die in ein Bühnenaquarium abtaucht und nordisch stumm die Ungeschicklichkeiten der Nebenbuhler aussitzt. Und selbst wenn sie in ihrem Liederabend „Jour nix“ von erster Liebe und Jungmädchen-Depressionen singt, steht sie im Zentrum eines Kraftfelds, das Weitherzigkeit gegenüber den Schwächen der anderen signalisiert.
„Seit ich arbeite, ist es mir drei-, viermal passiert, dass Kollegen und Kolleginnen, unabhängig vom Geschlecht, sich bitterlich darüber beschwerten, dass ich sie nicht achte und alleine die Rampensau spielen will“, sagt Puls. „Solche Beschwerden haben mich getroffen und die Angst geschürt, die anderen tatsächlich zu verdrängen.“ Der Spannung ihres Spiels kommt das zugute – ein schönes Paradox. Einerseits positioniert sich ihr Körper sehr aufmerksam zu den anderen Schauspielern im Raum. Andererseits marginalisiert ihr Übermaß an Energie, Widerständigkeit und Beweglichkeit ihre Körpergröße bis zur Unkenntlichkeit. Am Ende ist es dann psychische, nicht physische Größe, an der sich der Wille der Männer bricht – trotzig, instinktsicher, mit loser Lästerzunge, die jedes Pathos erstickt und auch nicht verstummt, wenn ihr die Dramaturgie im Männersystem keine wirkliche Chance einräumt. „Ich bin halt nicht der Kleidertyp“, seufzt Puls, wenn sie in der Hochzeitsnacht in Siegfrieds Oberhemd schlüpft. Als Brunhild hebt sie König Gunther schon mal am Mantelkragen ein paar Zentimeter vom Boden hoch.
Puls spielt nicht nur in München die Kriemhild, sondern bei den Wormser Nibelungenfestspielen in diesen Tagen bereits zum dritten Mal Brunhild, die andere weibliche Hauptrolle, die am Burgunderhof wie Jagdbeute domestiziert wird. Ein Doppelschlag, den nur wenige Schauspieler erleben. Während der Schauspielausbildung an der Berliner Hochschule der Künste tat man sich noch schwer, sie überhaupt einem Rollentypus zuzuordnen. Hochtalentiert, aber ohne Chance auf ernsthafte Rollenangebote, lautete das frühe Urteil, der Körperlänge wegen. Anfänger mit weniger Selbstbewusstsein hätten vielleicht das Handtuch geworfen. Sie stachelte es an, sich einen Alternativweg zu fantasieren: lieber zu performen als klassisch zu schauspielern, die Rollen von „Gräfinnen und Monstern“ zu übernehmen. Notfallpläne, seit denen sie weiß, dass es zwischen ihren Erfahrungen und den Vorgaben einer Rolle immer eine Lücke für einen eigenen Weg gibt.
Mit und an Andreas Kriegenburgs Vorstellungen von Körperartistik und Formbewusstsein ist Wiebke Puls während ihres ersten Engagements in Hannover gewachsen. Jürgen Gosch folgte in Hamburg als prägende Instanz. Sein kontinuierlicher Wunsch zur Entäußerung hat bei ihr „das Spielerische weiter herausgekitzelt“, sagt sie. Auf der Bühne wirkt sie zwar als Selbstversorgerin, die ihre Ideen arabesk aus der Luft holt, doch dazu braucht es Regisseure, die ihr Vertrauen verleihen.
Kriegenburg fragte wieder und bot ihr eine Rolle in den „Nibelungen“ an, die ihr viel Lob und den Darstellerpreis auf dem Theatertreffen einbrachten. „Jede Arbeit mit Kriegenburg ist ein Sprung, der einen weiterbringt.“ Dieses Mal hat sie sich auf vielen Ebenen freigespielt. Das Finale gehört ihr, alle anderen sind zur Strecke gebracht. Allein auf der Bühne erzählt sie von Betrug, Rache und Mord und entwickelt Kräfte für drei: Trümmerfrau, Rachegöttin, betrogene Ehefrau. Als könnte sie im Sologang zum großen Schlag ausholen. Man sollte sich von ihrem kindlichen Gemüt nicht täuschen lassen. Sie sieht zwar aus, als ob sie nicht beißen würde, aber hinter dem Sommersprossen-Strahlen schlummert eine Frau, die niemanden etwas vormachen will.