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Archiv-Artikel

FÜR POLENS POLITIKER SIND DIE USA WICHTIGER ALS MERKELS VERTRIEBENE Pflicht zur Freundschaft

Sowohl Angela Merkel als Kanzlerkandidatin als auch ihre Gesprächspartner in Warschau sehen sich einer verzwickten Situation gegenüber. Die polnischen politischen Eliten favorisieren Merkel, hat sie doch versprochen, das Verhältnis zu den USA auf freundschaftliche Bahnen zurückzuführen, mit der Achse Paris–Berlin–Moskau Schluss zu machen und nichts „hinter dem Rücken Polens“ zu unternehmen. Eitel Harmonie, wäre da nicht das Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin, ein Projekt der Vertriebenen, das zu unterstützen sich Angela Merkel verpflichtet hat. Für Polens Präsident Kwaśniewski ist an der Ablehnung eines solchen Zentrums in Berlin und unter der Regie des Bundes der Vertriebenen nicht zu rütteln. Von Merkels beiden anderen Gesprächspartnern, von Polens Premier Belka und auch vom Präsidentschaftskandidaten der Liberal-Konservativen, Tusk, sind ebenfalls keine anderen Töne zu hören.

Eigentlich fordert der von der polnischen Staatsführung festgelegte außenpolitische Primat – erst die USA, dann die EU, dann Deutschland –, einer Kompromisslösung in Sachen „Zentrum“ zuzustimmen. Schließlich geht es „nur“ um Geschichtspolitik. Aber die polnischen Gesprächspartner Merkels stehen gegenwärtig unter dem Druck baldiger Wahlen und einer veröffentlichten Meinung mit eindeutig nationalistischen Obertönen. Merkel wiederum kann jetzt nicht von dem Berliner Projekt in seiner gegenwärtigen Form abrücken. Das würde beim national-konservativen Wählerpotenzial der Union schlecht ankommen.

Die Kanzlerkandidatin will die polnische Seite davon überzeugen, dass im Berliner „Zentrum“ die Geschichte des Zweiten Weltkriegs nicht neu als deutsche Opfergeschichte geschrieben werde. Wenn die Wahlen diesseits und jenseits der Oder vorbei sind und sich, in welcher Kombination auch immer, in beiden Ländern konservativ geführte Regierungen etabliert haben, wird die polnische Staatsräson, die „racja stanu“, obsiegen. Die deutsche Annäherung an die USA ist für Polen wichtiger – aber eine künftige Zustimmung Warschaus zum „Zentrum gegen Vertreibungen“ bedeutet nicht, dass die Kritik an dieser Einrichtung gegenstandslos geworden wäre. CHRISTIAN SEMLER