: Minister Clement ist sich selbst voraus
Auf seiner Wahlkampftour möchte der Wirtschaftsminister die Früchte seiner Reformen ernten – doch die sind alles andere als reif. Trotzdem tut Clement so, als wäre seine Politik erfolgreich, und bemüht sich, das Image der neuen SPD-Kälte loszuwerden
AUS LÜBECK HANNES KOCH
„Ich muss nicht alles verstehen“, merkt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement an, als man ihm die Verkabelung eines Schaltschrankes erklären will. Bei seinem Besuch der Lübecker Sanitär- und Elektrofirma Schatte GmbH geht es Clement um Naheliegenderes – für sich selbst zu werben und für zusätzliche Ausbildungsplätze. Die findet er hier zuhauf: Auf rund 200 Beschäftigte kommen bei Schatte 40 jugendliche Auszubildende – rekordverdächtig. Ein gutes Beispiel, von dem der Minister hofft, dass es Nachahmer findet und seine rot-grüne Regierung bei der Bundestagswahl am 18. September noch einmal über die Ziellinie trägt.
Während der Tross aus Berlin, diverse Kommunikationsspezialisten, Werbemenschen und andere Offizielle die Werkhalle der Firma bevölkern, fragt Clement die Jugendlichen, die dekorativ aufgereiht ihrer Arbeit nachgehen: „Und, wie gefällt es euch hier?“ Mit Papa-Stimme raunt er: „Mal ganz ehrlich, nur unter uns.“ Schon hat Clement alle Sympathien auf seiner Seite, den Jugendlichen geht es bestens, der Firma und der Zukunft auch.
Der Wirtschaftsminister, als Vollstrecker von Hartz IV für viele Menschen der Inbegriff der neuen Kälte der SPD, ist in diesen Tagen auf dem Weg zu den Früchten seiner Arbeit. In Lübeck, Pforzheim, Frankfurt (Oder) und anderen Städten besucht er Ausbildungsbetriebe, um die Lehrstellen-Lücke zu schließen. „2004 waren wir erfolgreich“, sagt Clement mit seinem Ruhr- Akzent. Jetzt fehlen bundesweit rechnerisch noch fast 170.000 Stellen. Aber wir werden es schaffen.“
Davon abgesehen ist die ökonomische Gesamt-Lage freilich auch in Lübeck bescheiden. 18,2 Prozent der Menschen unter 25 Jahren sind arbeitslos, insgesamt liegt die Quote noch ein bisschen höher – ostdeutsche Dimensionen. Die Stadt ist pleite, 20 Prozent des Jahres-Etats stammen aus neuen Schulden. Die Mehrheit in der Bürgerschaft, dem Stadtparlament, der traditionell wohlhabenden, trotzdem aber lange Jahre roten Stadt hat die SPD bereits an die CDU verloren. Große Ausbildungsbetriebe wie die drei Werften und eine Metallhütte, die es hier früher einmal gab, sind geschlossen worden. Zwar wächst der Tourismus, der Hafen brummt und selbst einige Media-Betriebe haben sich am Trave-Ufer angesiedelt, doch der Erwerbslosigkeit im Großen und Ganzen kann das nichts anhaben.
Selten in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik war die Differenz zwischen der Selbstwahrnehmung der Regierenden und der Lage-Beschreibung, die die Mehrheit der Bevölkerung geben würde, so spürbar wie vor dieser Bundestagswahl 2005. „In den Jahren der rot-grünen Bundesregierung ist die Situation nicht besser geworden“, sagen die Vertreter der Lübecker Industrie- und Handelskammer, wenn der Herr Minister mal nicht daneben steht. Für Wolfgang Clement sind solche Beschreibungen Eindrücke aus der Vergangenheit, er selbst – die organisierte Ungeduld in Person – ist schon viel weiter, in einer Zukunft, wo vielleicht doch Wirklichkeit wird, was Reform-Erfinder Peter Hartz vor drei Jahren versprach: zwei Millionen weniger Arbeitslose. Im Bus, auf dem Weg zum nächsten Ausbildungsbetrieb kolportiert Clement einen Sinnspruch, der ihm sichtlich Spaß macht: „Wo Schatten ist, ist auch Licht.“
Bei der Firma Niederegger beispielsweise. Seit 16 Generationen und fast 200 Jahren ist der Familienbetrieb der Hort des Lübecker Marzipans. Die Kassiererinnen in den Filialen können den Ansturm der Touristen kaum bewältigen. 20 Azubis dürfen an der Erfolgsgeschichte teilhaben. Im Marzipan-Salon – einer Art Museum – wird Clement im Modellieren von Marzipan-Marienkäfern unterwiesen. Hingebungsvoll rollen die großen Hände die kleine Kugel aus Rohmasse, bringen sie in Form und verpassen ihr zwei Marzipan-Augen, die ein bisschen schielen. „Ich könnte mich bewerben“, schließt Clement die Vorführung. Darauf die Geschäftsführerin: „Ein bisschen spät. Man sollte rechtzeitig anfangen.“