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Archiv-Artikel

Ende eines kurzen Lebens

SUIZID Ibourahima K. flüchtet aus Afrika nach Bremen. Mit 16 erhängt sich der Vater einer deutschen Tochter im Knast. Die Journalistin Gaby Mayr hat sein Leben erforscht

Von Christian Jakob

Als der 16-jährige Ibourahima Keita sich im Juli 2008 in der Jugend-JVA Oslebshausen erhängt, hinterläßt er einen Stapel Briefe und jede Menge Fragen an die Justiz. Wie kann es sein, dass ein Minderjähriger im Gefängnis so verzweifelt, dass er seinem Leben ein Ende setzt? Gab es Versäumnisse bei der psychologischen Betreuung? Namhafte Bremer Juristen und Politiker schalten Zeitungsanzeigen, um ihre Trauer auszudrücken „über den freiwilligen Tod eines Jugendlichen in staatlicher Obhut“, dessen Umstände „nicht ausreichend aufgeklärt“ worden seien.

Der Junge, der „ohne jeden Anhang“ in Deutschland gelebt habe, habe „keine Anzeichen für eine Krise“ gezeigt – das sagt ein JVA-Mitarbeiter später der taz.

Doch Keita lebte nicht „ohne jeden Anhang“ in Deutschland. Er hat auch mehr hinterlassen als nur den Stapel Briefe. Keita war der Vater der heute einjährigen Jenna, die geboren wurde, als er bereits sieben Monate im Knast saß. Kurz nach seinem 16. Geburtstag hatte die Polizei ihn und Jennas Mutter aus der Hemelinger Jugendhilfe-Wohnung geräumt, in der die beiden lebten. Als deutscher Minderjähriger hätte er zwei Jahre länger dort bleiben dürfen. In der Erwachseneneinrichtung, in die Keita dann sollte, kam er nie an.

Das hat die Bremer Journalistin Gaby Mayr herausgefunden. Sein Kind mit einer Deutschen hätte dem abgelehnten Asylbewerber eine Perspektive in Deutschland eröffnet. Warum Keita dem Leben dennoch keine Chance mehr geben mochte, dieser Frage ist Mayr in einer achtmonatigen Recherche für ein Radiofeature nachgegangen.

Der junge Mann aus der Elfenbeinküste kam Anfang 2006 mit 14 Jahren nach Deutschland und wurde im Heim für minderjährige Flüchtlinge in der Peenemünder Straße untergebracht. Die Standards dort sind verbesserungswürdig und „die Träume, mit denen sie in Afrika aufbrechen, lösen sich hier meist in Nichts auf,“ sagt Mayr. Dafür kommt man in dem Heim „relativ schnell in Kontakt mit Jugendlichen, die auf der Straße dealen,“ sagt Wilhelm Weber, der Leiter des Kommissariats für Rauschgiftdelikte. „Die Versuchung ist natürlich sehr groß.“

Keita widerstand ihr offenbar nicht. 48 Straftaten, 19 davon im Zusammenhang mit Drogen wirft ihm die Justiz schon ein dreiviertel Jahr nach seiner Ankunft in Bremen vor. Kurz nach seinem 15. Geburtstag wird er zu einer Haftstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt.

Die deutsche Mutter von Jenna, die bei Mayr Sonia Schmitt heißt, ist Mitte zwanzig und lebt heute allein mit dem Mädchen in Bremen. In Mayrs Feature, das am Freitag im Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde, beschreibt Schmitt ihren toten Freund als „sehr verschüchtert und unsicher“. Er habe keine Freunde gehabt, „und die, denen er nachgeeifert hat, die haben ihn nur ausgenutzt“. Ihr selber sei es zu der Zeit „auch nicht gut gegangen, und dann haben wir uns halt gefunden und waren dann halt zu zweit und nicht mehr allein,“ sagt Schmitt.

Weil das Heim in der Peenemünder Straße mit dem als sehr aggressiv und problematisch geltenden Keita überfordert ist, mietet das Rote Kreuz für ihn eine Wohnung an, in die später auch Schmitt zieht. Bis im Oktober 2007 „dann die Polizei da irgendwie im Wohnzimmer steht, wir noch am schlafen, hat uns da rausgeholt, ja, da standen wir auch auf der Straße.“

Titus Blank vom Roten Kreuz begründet die Räumung, damit dass Jugendangebote für Asylbewerber nur bis 16, statt wie bei Deutschen bis mindestens 18 Jahren greifen. Im Jahr nach seiner ersten Verurteilung soll Keita 22 weitere Straftaten begangen haben. Mayr erkundigt sich beim Sozialressort, wie man sich um den 15-jährigen gekümmert habe, als er in Hemelingen lebte. Die Sprecherin antwortet ihr, sie finde „dass ein bisschen durchklingt, dass Sie im Prinzip erwarten, dass es eine Rundumbetreuung gibt.“ Am 1. November 2007 wird Keita auf dem Bremer Bahnhofsvorplatz verhaftet.

Zwischen der Geburt seiner Tochter am 28. Mai des folgenden Jahres und seinem Tod am 15. Juli bekommt er Jenna einmal zu Gesicht. Mayrs Anfrage nach den Umständen seiner Haft beantwortet Justiz-Staatsrat Mathias Stauch so: „Es verbietet sich, dass die einzelnen Umstände seiner Haftsituation in die Öffentlichkeit getragen werden.“

Mayrs Radiofeature „Guinea Gold – Wie Ibourahima K. in Bremen das Glück suchte und den Tod fand“ wird Anfang des Jahres von Radio Bremen wiederholt.

Das Manuskript steht unter www.dradio.de/download/110997