piwik no script img

Schaut euch an, ihr seid schön

Auf ihrer Abschiedstournee lassen es Kiss in der Berliner Waldbühne noch mal richtig krachen, Feuerspucken inklusive

Von Ulrich Gutmair

Die Kiss Army ist überall. Man erkennt sie von Weitem an ihren T-Shirts mit dem unverkennbaren Logo. Je näher man am Dienstagabend der Waldbühne kommt, desto mehr werden es. Die Männer sind in der Überzahl, meist sind sie älter als fünfzig. Manche tragen Schminke im Gesicht, alle vier Kiss-Charaktere sind vertreten: The Starchild, The Demon, The Space Ace and The Catman.

Kiss sind eine der erfolgreichsten Bands des Planeten. Sie haben seit 1973, dem Jahr ihrer Gründung, 100 Millionen Alben verkauft, und sie haben das Merchandising revolutioniert. Ihre Shows, in denen Bassist Gene Simmons Blut spuckte und Feuer spie, wobei er wegen exzessiven Haarspraygebrauchs auch hin und wieder seine Haare in Brand setzte, brachten ihnen Kultstatus ein. Das ist ihre Abschiedstour.

Ein irres Theater veranstalten sie auch in der Waldbühne. Ständig lodern Flammen, explodieren Feuerwerkskörper und fahren einzelne Bandmitglieder auf Plattformen in die Höhe und wieder runter. Das macht beim Zusehen ein bisschen Angst, weil die Herren auf Plateaustiefeln über die Bühne tänzeln. Am elegantesten macht das Paul Stanley alias Starchild, die androgynste Figur der vier. Er schwingt sexy die Hüften, die er schon zweimal operieren lassen musste, und spielt seine Gitarre immer wieder auf dem Rücken, bevor er sie am Ende zertrümmert.

Während die Science-Fiction-Obsession von Gene Simmons das Image der Band prägte, zeigte sich der Kiss-Sound der frühen Jahre als dunkle Variante von Glam Rock. Das Erbe von Glam zeigte sich noch, als Kiss das Discostück „I Was Made For Loving You“ aufnahmen. Es war der größte Erfolg der Band und ist immer noch der Höhepunkt ihrer Shows. Um es inmitten der Menge zu singen, besteigt Paul Stanley eine Art Tarzanbahn und fährt von der Main Stage auf eine kleinere Bühne.

Stanley ist der Kommunikator, der ständig das Publikum animiert, noch lauter zu schreien. Er macht klar, dass es auf jeden Anwesenden ankommt: „Everybody here counts tonight!“ Später sagt er: „Take a look at yourself. You’re beautiful!“ Er sagt, dass seine Mutter in Berlin geboren wurde, und folgert: „Ich bin ein Berliner!“ Es ist ein Hinweis auf die jüdische Geschichte der Band. Stanleys Mutter floh mit ihrer Familie vor den Nazis. Simmons’ Mutter überlebte die Vernichtungslager.

Als letzten Song vor der Zugabe spielen Kiss „Black Diamond“, eine Hommage an die Verstoßenen und Verzweifelten. Es ist vielleicht ihr bestes Stück.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen