: Schaustrampeln im Walde
Die Deutschland-Tour der Radprofis will sich hinter der Tour de France einreihen. Doch zunächst übertrifft die Rundfahrt die große Schleife nur durch den Gipfelsturm auf den Rettenbachferner
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Das Dach der Tour liegt 2.684 Meter über dem Meeresspiegel. Die Teilnehmer der diesjährigen Deutschland-Rundfahrt müssen am Donnerstag einen 13 Kilometer langen Schlussanstieg mit einer durchschnittlichen Steigung von mehr als zehn Prozent hoch zum Rettenbachferner in Tirol erklimmen. Es geht damit höher hinauf als bei der Tour de France.
Das finden nicht alle Fahrer des Pelotons witzig. Jens Voigt, Radprofi beim dänischen Team CSC und nicht als Kletterspezialist bekannt, stellte im Vorfeld der Rundfahrt die Frage nach dem Sinn eines solch mörderischen Anstiegs nur drei Wochen nach der strapaziösen Frankreich-Rundfahrt. Die Veranstalter hingegen sind stolz auf ihre Königsetappe. Die ist in der Tat eine sportliche Herausforderung und einer großen Rundfahrt würdig. Genau das nämlich will die Deutschland-Tour werden.
Kai Rapp, Direktor und Chefplaner der Rundfahrt, die in diesem Jahr über 1510 Kilometer und neun Etappen von Altenburg nach Bonn führt, wird nicht müde zu betonen, dass er sein Rennen zur Nummer zwei hinter der Tour de France machen will. Noch werden die Plätze zwei und drei vom Giro dItalia und der Vuelta in Spanien eingenommen. Dahinter folgt die Tour de Suisse. Das Ranking soll sich ändern. Und Rapp sieht sich auf einem guten Weg. Sein erstes Ziel hat er bereits vor einem Jahr erreicht, als der Internationale Radsport-Verband die Deutschland-Rundfahrt 2005 in den Rennkalender der Pro-Tour aufgenommen hat. Die Rennserie mit 27 Veranstaltungen im Jahr muss von allen zwanzig Profiteams, die zur Pro-Tour zugelassen worden sind, mit Fahrern beschickt werden. Es sind also in diesem Jahr zum ersten Mal alle Top-Mannschaften in Deutschland am Start.
Zudem verweist Rapp auf das hohe Zuschauerinteresse hierzulande. Trotz des nasskalten Wetters an den ersten beiden Tour-Tagen seien die Menschen auch in diesem Jahr wieder massenhaft an die Strecke geströmt. Zur Fahrt durch den Bayerischen Wald am Dienstag meinte er: „Die Menschen, die da wohnen, waren alle da - und dazu noch die Urlauber.“ Damit wäre ein weiteres Ziel Rapps erreicht. Mit der Verlegung der Rundfahrt von Juni auf Mitte August wollte er vor allem auch die Urlauber ansprechen. Von den Zuschauermassen am Straßenrand zeigt sich auch Hans-Michael Holczer begeistert. Für den sportlichen Leiter von Team Gerolsteiner ist die Fahrt durch das Heimatland der Mineralwassertruppe ein wichtiges Schaustrampeln. Holczer schwärmt auch vom medialen Interesse, überdies von der Qualität der Fernsehübertragungen. „Das sind wenigstens Bilder, die etwas aussagen“, meint er. Holczer sieht die Deutschland-Tour auf einem guten Weg. Er sagt aber auch, dass die Rundfahrt noch keinen eigenen Charakter habe: „So etwas wie mit dem Rettenbachferner kann man ja einmal machen, einmal.“ Das gesteht er den Veranstaltern zu, die sich aber ansonsten doch bemühen möchten, eine Rundfahrt mit einem eigenen Gesicht zu schaffen. „Bei der Tour weiß man, da gibt es Flachetappen, dann geht es in die Alpen und in die Pyrenäen“, meint er.
Tour-Direktor Rapp sieht das anders. Er will jedes Jahr aufs Neue mit der Streckenführung überraschen. Schwere Bergetappen wird es auch in der nächsten Saison gegen, so viel scheint festzustehen. Der diesjährige Etappenort Sölden und die Urlaubsregion Tirol gehören zu den Hauptsponsoren der Rundfahrt. Ansonsten will sich der Tour-Direktor nicht festlegen. „Nord- oder Ostsee, das wäre auch einmal interessant“, sagt er und denkt wieder an die jubelnden Urlauber am Straßenrand.
Doch das Schicksal der Deutschland-Tour liegt nicht allein in den Händen von Chef-Organisator Kai Rapp. Es sind die Fahrer und ihr Engagement, das über die sportliche Zukunft der Veranstaltung entscheiden werden. Es mögen ja alle Top-Teams am Start sein, aber werden die besten Fahrer auch ihr Bestes geben, wenn die harten Etappen anstehen? Dauersorgenradler Jan Ullrich vom Team T-Mobile hat sich jedenfalls vorsorglich schon einmal eine Erkältung zugelegt. Ob sich Danilo di Luca, der Führende in der Pro-Tour-Wertung, im Rennen zeigen wird, ist noch ungewiss.
Die mögliche Zurückhaltung der Topfahrer, für die die Deutschland-Tour noch lange nicht das zweitwichtigste Rennen der Welt ist, könnte die Chancen der deutschen Profis erhöhen, in der Heimat zu glänzen. Vorjahressieger Patrick Sinkewitz hat sich ebenso viel vorgenommen wie der Gerolsteiner Kletterer Fabian Wegmann. Vielleicht sind sie ja in der Lage, am großen Jan Ullrich vorbeizuziehen, wenn diesem wenige hundert Meter vor der Bergankunft am Rettenbachferner wieder einmal die Puste ausgeht.