: „Für normale Leute steigt die Belastung“
Merkels Mann im Kompetenzteam für die Finanzen, Paul Kirchhof, propagiert eine radikale Steuersenkung und - vereinfachung. Das klingt gut – aber profitieren würden davon in erster Linie Spitzenverdiener und große Firmen
taz: Der radikale Steuervereinfacher Paul Kirchhof ist Angela Merkels Mann für die Finanzen. Er will 90 Prozent des Steuergesetzes auf den Müll werfen. Dürfen wir uns freuen, weil wir endlich keine Steuerberater mehr brauchen?
Peter Mannherz: Wenn es wirklich so kommt, wie Paul Kirchhof will, können Sie als Arbeitnehmer Ihre Steuererklärung ganz leicht alleine machen. Das wäre eine gute Sache. Etwa die Hälfte aller Steuerliteratur weltweit wird heutzutage in Deutschland geschrieben – und fast niemand versteht sie. Aber die meisten Steuerberater werden auch später noch genug zu tun haben. Die beraten ja vor allem Unternehmen.
Aber auch für die Wirtschaft will Kirchhof doch sämtliche Ausnahmen und Sparmodelle abschaffen. Wozu braucht man dann noch Steuerberater für Firmen?
Aus Kirchhofs Vorschlägen kann ich bislang nicht erkennen, wie er mit den Unternehmen verfahren will. Er sagt nur, dass alle im Prinzip den gleichen Steuersatz zahlen sollen – ab einem zu versteuernden Einkommen oder Gewinn von 18.000 Euro im Jahr 25 Prozent. Wie aber die Gewinnermittlung für die Unternehmen genau aussehen könnte, weiß man nicht.
Wir sollen die Katze im Sack kaufen?
So kann man es sagen. Dabei machen gerade die oft legalen Tricks, mit denen die großen Unternehmen ihre Gewinne gegen null rechnen, den Finanzämtern die größten Probleme. Die meisten Schlupflöcher stecken im Bilanzrecht.
Kirchhof will auch für normale Steuerzahler, die beispielsweise 30.000 Euro im Jahr verdienen, sämtliche Ausnahmen streichen und den Steuersatz auf 25 Prozent festlegen. Geht es den Durchschnittsverdienern dann besser oder schlechter als heute?
Schlechter. Denn bis zu einem steuerpflichtigen Einkommen von ungefähr 40.000 Euro steigt die Belastung.
Wie das? Kirchhof ist bekannt als radikaler Steuersenker.
So pauschal betrachtet ist das ein Trugschluss. Unter anderem weil der niedrige Eingangssteuersatz und auch der allmähliche Anstieg des Steuersatzes abgeschafft wird, nimmt die Belastung für Kleinverdiener zu. Eine phänomenale Entlastung sollen dagegen Leute mit guten und sehr hohen Einkommen erhalten. Wer heute noch 42 Prozent Spitzensteuersatz zahlt, müsste mit Kirchhof nur noch 25 Prozent Steuer abführen.
Sie sagen, nur Spitzenverdiener würden profitieren. Leute – wie Sie – mit fünf Kindern sollen laut Kirchhof aber einen Grundfreibetrag für jede Person von 8.000 Euro bekommen. 48.000 Euro wären dann schon mal steuerfrei.
Das möchte ich erst mal sehen. Die Union würde damit gigantische Steuerausfälle produzieren. Diese Idee kann den Wirklichkeitstest nicht überleben.
Sie beraten vor allem mittelständische Unternehmen. Dank einer Steuerreduzierung auf 25 Prozent verbesserte sich deren Situation.
Sehr viele kleine und mittlere Unternehmen zahlen heute kaum noch Steuern. Ihre Gewinne und ihre Aufträge reichen dafür nicht aus. Die 40.000 Insolvenzen pro Jahr haben nichts mit zu hohen Steuern zu tun. Das Problem liegt in der geringen Nachfrage der Konsumenten. Daran setzt Kirchhof mit seinem Konzept aber überhaupt nicht an.
Kirchhof will doch die Verbraucher entlasten. Wenn die Leute mehr Geld in der Tasche hätten, könnten sie auch mehr ausgeben.
Untere und mittlere Einkommen würden ja gar nicht besser gestellt. Deshalb könnten sie auch ihre Konsumausgaben nicht steigern.
Ist es in unserem Lobby-Staat überhaupt realistisch, die ganzen Ausnahmen für Spitzenverdiener und Firmen abschaffen zu wollen?
Ich glaube nicht. Das hat schon Bundesfinanzminister Hans Eichel nicht geschafft. Warten wir mal ab, was aus dem Kirchhof-Konzept geworden ist, wenn es aus dem Gesetzgebungsverfahren herauskommt.
Wenn die Senkung der Steuersätze stattfindet, die Ausnahmen aber überleben – wie würde das Ergebnis für die öffentlichen Finanzen aussehen?
Der Staatsbankrott würde sich beschleunigen. Wir haben heute schon ein strukturelles Defizit im Bundeshaushalt von rund 60 Milliarden Euro. Dieser Fehlbetrag würde zunehmen. Ein Steuersatz von 25 Prozent reicht nicht, um die öffentlichen Aufgaben zu erfüllen. Übrig bleiben würden nur Einschnitte ins soziale Netz.
INTERVIEW: HANNES KOCH