Bulgarien hat endlich eine neue Regierung

Dreierkoalition unter sozialistischem Premier vom Parlament bestätigt. Skandal um Chef der Protestpartei Ataka

BERLIN taz ■ 52 Tage nach den Parlamentswahlen vom vergangenen Juni war es am Dienstagabend so weit: Bulgarien hat eine neue Regierung. Mit 168 zu 67 Stimmen wurde der Chef der Sozialistischen Partei (BSP), Sergej Stanischew, vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt. Sein Kabinett erhielt kurz darauf die Unterstützung von 169 Abgeordneten, 68 votierten dagegen. Der Koalition werden neben der BSP die bisherigen Regierungsparteien Nationale Bewegung Simeons II (NDSW) des scheidenden Regierungschefs Simeon Sakskoburggotski sowie die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die Vertretung der türkischen Minderheit, angehören. Während die BSP acht Minister stellt, ist die NDSW mit fünf sowie die DPS mit drei Ministern im Kabinett vertreten.

Als Ziele seiner Regierung nannte Stanischew, außer dem für 2007 geplanten Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union, ein Wirtschaftswachstum von acht Prozent, den Kampf gegen Verbrechen und Korruption sowie die Reform des Justizsystems. Zudem kündigte der 39-jährige eine maximale Transparenz aller Entscheidungen des Kabinetts an. „Wir werden die Opposition nicht als Feind betrachten“, sagte er. Das sehen Teile der angesprochenen Volksvertreter offenbar anders. So sorgte Volen Siderow, Chef der rassistischen, fremdenfeindlichen Protestpartei Ataka bei der Debatte am Dienstagabend erneut für einen Skandal. Der selbst ernannte „Verteidiger aller Bulgaren“, der während der ersten Parlamentssitzung die Abgeordneten der anderen Fraktionen als „Fettklöße und Horde grunzender Schweine“ bezeichnet hatte, überzog diesmal Staatschef Georgi Parwanow mit Schimpfkanonaden.

Parwanow hatte nach mehreren gescheiterten Anläufen einer Regierungsbildung in einem ultimativen Versuch der DPS das entsprechende Mandat erteilt. Parwanow sei ein Lakai des DPS-Chefs Achmed Dogan, „der bösartigsten Figur der bulgarischen Politik“, sagte Siderow. Daraufhin ließ der Parlamentspräsident dem Ataka-Chef, der ein Trauerabzeichen mit der Aufschrift „Heute begraben wir die bulgarische nationale Würde“ angesteckt hatte, das Mikrofon abschalten und ihn vom Rednerpult entfernen.

Trotz spürbarer Erleichterung der bulgarischen Medien über das „Ende der politischen Anarchie“, wie die bulgarische Tageszeitung Standard meinte, waren gestern auch skeptische Äußerungen zu vernehmen. „Chaos und Instabilität werden durch die Regierungsbildung nicht enden“, schrieb die Nachrichtenagentur Novinite. Gerade ein instabiles Kabinett sei aber leicht für eine mögliche Verschiebung des EU-Beitritts, steigende Preise und fallende Investitionen verantwortlich zu machen. Nutznießer, so mutmaßte Novinite, würde der jetzt als Premier entthronte Exilmonarch Simeon Sakskoburggotski sein, der bei den Präsidentschaftswahlen 2006 ein politisches Comeback schaffen könnte. „Das Schlimmste daran ist, dass die Bulgaren jetzt auf den Tod der Regierung warten müssen, nachdem sie solange auf die Geburt gewartet haben. Aber wie lange wird Europa auf uns warten?“ BARBARA OERTEL