Lass dir einfach einen Bart wachsen

ROADMOVIE Kontrovers: „Parada“ von Srdjan Dragojevic begleitet zwei Männer, die Security für den Belgrader Gay Pride rekrutieren

„Parada“ ist kein queerer Film. Für Regisseur Srdjan Dragojevic ist Anpassung das probate Mittel, um sich als Homosexueller in Exjugoslawien zu schützen

VON ENRICO IPPOLITO

Er wollte nur einen Film machen, der die Herzen erweicht, sagt Regisseur Srdjan Dragojevic. „Parada“ macht viel mit seinen Zuschauern. Dragojevics Film war der meistdiskutierte während der diesjährigen Berlinale. Zuschauer verließen den Kinosaal – wutentbrannt. Andere lobten „Parada“ als mutigen Film.

Dabei ist die erzählte Geschichte mehr als banal. Der serbische Kriegsveteran Limun und der schwule Tierarzt Radmilo fahren in einem rosa Mini Cooper durch das ehemalige Jugoslawien und versuchen kroatische, bosnische und kosovarische Exkombattanten als Sicherheitskräfte für den Belgrader Gay Pride 2010 zu mobilisieren.

Stereotype und Klischees

Heraus kam keine intelligente Politsatire, sondern ein komödiantisches Roadmovie voller Stereotype und Klischees. Der harte Limun, der lernt, seine Gefühle zu zeigen, gegen den schwulen Radmilo, der lernt, seinen Zeigefinger beim Trinken nicht zu spreizen. Eine klassische Dichotomie: Über-Macho gegen weinerliche „Schwuchtel“. Das Arbeiten mit Stereotypen und Klischees im Film ist kein unübliches Mittel. Schwierig wird es jedoch, wenn sich dahinter nichts Weiteres verbirgt. Dragojevics Figuren bleiben eindimensional und platt. Hinter seinen Witzen steckt keine tiefere Wahrheit – auch die Darstellung der Homosexuellen ist eine Farce. Der weinerliche, dicke Tierarzt mit dem rosa Mini Cooper, der nur ein „normales“ Leben führen will. Der tuntige 50-Jährige, der sich erst nach dem Tod seiner Frau outet. Die stille Lesbe. Und zuletzt der kämpferische Theatermacher, der kitschige Hochzeiten ausrichten muss.

Was „Parada“ jedoch schafft, ist die hierzulande herrschende Arroganz aufzuzeigen. „Wir brauchen so einen Film nicht mehr, weil wir weiter sind. Aber für die da drüben ist ‚Parada‘ wichtig“ – so der Tenor. „Parada“ erhielt den Preis des Berliner queeren Magazins Siegessäule und auch den Berlinale Panorama Publikumspreis. Hier geht es um die Idee des Sichtbarmachens. Homosexuelle müssen erst mal im Kino dargestellt werden, es muss sich an den Klischees und Stereotypen abgearbeitet werden – ein emanzipatorisch-evolutionistischer Gedanke, den wir in Deutschland angeblich schon längst erreicht haben. Doch wenn dem wirklich so ist: Für wen in Deutschland ist dann „Parada“? Warum brauchen wir 34 Jahre nach „Ein Käfig voller Narren“ einen solchen Film?

Die Lage für Homo-, Bi- und Transsexuelle im ehemaligen Jugoslawien ist katastrophal. 2009 wurde der Belgrader Gay Pride aus Sicherheitsgründen abgesagt, und 2010 konnte er nur stattfinden, weil 6.000 Polizisten die Demonstranten schützten. Für all diese Menschen ist „Parada“ unwürdig. Sie kämpfen für ihre Rechte, stecken Prügel ein und müssen in ständiger Angst leben. Sie alle sehen sich mit einem Film konfrontiert, der die homosexuellen Männer nur als Tunten zeigt. Hätte Dragovic genauer hingesehen, wäre sein Bild vom homosexuellen Leben im ehemaligen Jugoslawien deutlich differenzierter ausgefallen. Darauf verzichtet er.

Mit seinem Film hat Dragojevic mehr als 500.000 Zuschauer erreicht. Er wollte homophobe Menschen ins Kino holen und hat das auch geschafft, unter anderem, weil er auf eine Kussszene zwischen den Protagonisten verzichtet. Das Publikum soll sich nicht überfordert fühlen, sondern an vertrauten Stereotypen abarbeiten.

Glaubwürdige Kämpfer

Zwar können die Zuschauer – ähnlich wie der Protagonist Limun – erkennen, dass Homosexuelle Menschen sind. Das liegt allerdings nicht an der Schauspielkunst der Darsteller der homosexuellen Figuren, sondern an der Glaubwürdigkeit und dem Identifikationspotenzial der Exkombattanten. Sie können nach dem Krieg sogar miteinander lachen, sich umarmen.

Interessanterweise sind auch die Frauen im Film vielschichtiger. Limuns Verlobte darf zugleich von ihrer Mädchen-Traumhochzeit träumen und weiß trotzdem eine Knarre zu bedienen. Den Homosexuellen wird das im Film nicht zugestanden.

„Parada“ ist keine Satire, sondern platte Unterhaltung. Und ganz bestimmt ist „Parada“ vieles, aber nicht ein queerer Film. Was heißt eigentlich ein normales Leben führen? Dragojevics Lösung scheint Anpassung zu sein. Die Botschaft: Spreize keine Finger, lass dir einen Bart wachsen und du wirst nicht mehr zusammengeschlagen.

■ „Parada“. Regie: Srdjan Dragojevic. Mit Nikola Kojo, Milos Samolov, Hristina Popovic u. a. Serbien 2011, 115 Min.