: Zauberhafte Koalitionen
Eigentlich wollte das Parlament gestern über den Doppelhaushalt diskutieren. Doch die RednerInnen gaben lieber das Startsignal zum Abgeordnetenhauswahlkampf 2006
Wie jedem Anfang, so wohnte gestern auch dem Beginn des Abgeordnetenhauswahlkampfs ein Zauber inne. Zwar tarnte er sich als Debatte um den Doppelhaushalt des Landes für die Jahre 2006/07. Doch ging es in weiten Teilen darum, mögliche Koalitionspartner zu bezirzen und sich gegenüber den Wählern in Pose zu bringen. Und so kam es den meisten RednerInnen gelegen, dass der pro Jahr 20 Milliarden Euro schwere Haushalt nur noch wenige Zumutungen bereithält. Dadurch blieb mehr Zeit für den Wahlkampf.
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) pries sich selbst wieder einmal als harten Sanierer der gebeutelten Landesfinanzen. Bis zum Jahr 2007 sei das Primärdefizit Berlins vollständig abgebaut. Allerdings konnte auch Sarrazin nicht verschweigen, dass der heute schon 60 Milliarden Euro große Schuldenberg weiter anwachsen werde. Allein die Schuldenzinsen kosten fast 2,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Erstaunlicherweise nutzte nur eine der drei Oppositionsparteien die offene Flanke des rot-roten Senats: Fast 8 Milliarden Euro Risiken würden sich im Doppelhaushalt verbergen, argwöhnte der haushaltspolitische Sprecher der CDU, Alexander Kaczmarek. Die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz hingegen lobte die rot-rote Sanierungsarbeit beinahe mehr als Linkspartei und SPD selbst: „Es ist in den vergangenen Jahren gelungen, wichtige Strukturentscheidungen zu treffen, die den Haushalt ausgabenseitig entlastet haben“ – etwa den Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung und den Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Ein gutes Verhältnis zu SPD und Ex-PDS kann sich lohnen: falls nämlich die beiden Parteien nach den Wahlen im kommenden Jahr zum Weiterregieren einen dritten Koalitionär brauchen.
Doch auch die FDP kann lobhudeln: „Ein durchaus sehenswertes Stück Arbeit“ sei der Doppelhaushalt, attestierte Fraktionschef Martin Lindner. Mit Einzelheiten zum Etat hielt er sich ansonsten nicht auf. Stattdessen versuchte Lindner mit allerlei Zahlen zu beweisen, dass in FDP-mitregierten Bundesländern die Haushalte noch besser dastehen.
Weil Grüne und FDP als Opposition ausfielen, erledigte das der Senat gleich selbst. Der Fraktionschef der Linkspartei, Stefan Liebich, kritisierte die Bundesebene seines Koalitionspartners SPD: „Es war falsch, den Spitzensteuersatz auf Einkommen von 53 Prozent beim rot-grünen Regierungsantritt auf 42 Prozent zu senken.“ Im Klartext heißt das: Der Bund ist schuld, dass Berlin Mühe hat, das nötige Kleingeld für ein kostenfreies Kita-Jahr und andere Sozialleistungen aufzubringen.
Fest steht also: Eine SPD-Alleinregierung wird von der Linkspartei und der CDU bekämpft, während Grüne und FDP den Senat stützen. Zauberhaft.
MATTHIAS LOHRE