: Lokimotivführer Jong Un
Es geht ein Hefekloß auf Reisen in die weite Welt
„Eine Bahnfahrt, die ist lustig, / eine Bahnfahrt, die ist schööön …“ – das ist momentan der beliebteste Schlager Nordkoreas, der auf Anweisung des Ministerrats der Demokratischen Volksrepublik Korea unverbrüchlich auf Platz eins der nordkoreanischen Charts steht. Denn der führende Führer des vorbildlichen asiatischen Reiches Kim Jong Un ist wieder einmal auf den Zug der Zeit gesprungen und hat sich aufgemacht in die große weite Welt.
Der Genosse Marschall ist am Mittwoch mit seinem geliebten Sonderzug im russischen Wladiwostok eingetroffen, um seinen Kollegen, den Genossen Marschall Wladimir Putin, zu treffen. Zuvor war Kim, wie die staatliche Nachrichtenagentur KCNA in bewegten und bewegenden Bildern zeigte, mit überschwänglichem Lächeln und gerührtem Händeschütteln auf dem Hauptbahnhof von Pjöngjang von den werktätigen Massen verabschiedet worden. An Bord des mit einem gelben Streifen markierten Zugs befanden sich auch ein Panzerwagen und sogar ein kleiner Hubschrauber. Und plötzlich blühten die Magnolien am Wegesrand!
Längst sind die Zeiten vorbei, da die Kims diskret durch die Lande juckelten, wie es noch das reisefreudige Großväterchen Kim Il Sung tat, als es im Jahr 1949 heimlich per Interzonenzug Moskau besuchte, um sich vom sowjetischen Machthaber Josef Stalin den Segen für einen Angriff auf Südkorea abzuholen. Kim Jong Uns Vater und Vorgänger Kim Jong Il litt an schwerer Flug-, wenn nicht gar Reiseangst, sodass er während seiner glorreichen Ära auf insgesamt nur zehn Überlandfahrten inkognito China und Russland erkundete.
Da ist Kim Jong Un aus anderem Kiefernholz geschnitzt und seit seiner Schulzeit in der Schweiz geradezu ein Globetrotter. Dennoch hängt Kim Jong Un an der Tradition. Und so stand der führende Führer während seiner neuerlichen Schicksalsreise zur Rettung der Welt ganz vorn im Führerhäuschen und ließ immer wieder an jeder Station, an der sich die jubelnden Massen versammelt hatten, die eigens installierte Dampflokpfeife erklingen. Das hatte sich Jong Un nämlich schon als ganz kleiner Hefekloß gewünscht, als er noch nicht ahnen konnte, dass er eines Tages der größte Staatenlenker im Erdenrund werden würde. Da wollte er einfach nur Lokomotivführer werden. „Pfiiiiiiiiiiiiieeeeppp!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen