wortwechsel
: Über die Rechtswende eines Ex-Genossen

Einst taz-Mitgründer, dann bei den Grünen, heute AfD-Freund. Wie geht das? Schüler gegen rechts nicht erwünscht. Dazu: Wer braucht ein Auto? Wer braucht das Gendern?

Rechts abgebogen: Ulrich Kulke Foto: Anja Weber

Das macht wütend

„Jung, links, unerwünscht“, „Jugend schützen, nicht die AfD“, taz vom 12. 4. 19

Ihre beiden Artikel ließen sich endlos ergänzen. Ein weiteres Beispiel sind zwei Schüler in Boizenburg, Tarnow-Schule, die massiv von einigen LehrerInnen in ihrer Schule angegangen und gemobbt wurden für ihr Engagement gegen rechts (Focus Online, „Hitlergruß im Klassenzimmer“).

Bei mir kommt der Verdacht auf, dass der derzeitige Zustand in dieser Republik tatsächlich sehr willkommen ist. Die diversen Parteien gehen dermaßen zögerlich mit den Rechtspopulisten in ihren Reihen um und lassen sie eher noch so agieren wie die SPD den Sarrazin, und mit den unerträglichen Redebeiträgen der AfD in den Parlamenten wird ebenso gnadenlos hilflos umgegangen. Da wundert mich der Umgang mit den so toll engagierten Menschen überhaupt nicht mehr.

Ich wurde so richtig wütend, als ich Ihre Artikel las, da ich so einige Dinge immer vor Ort bei meinen Aktionen oder Projekten zu hören bekomme. Ich erinnere mich noch an das entsetzlich grausame Verbrechen in der Uckermark an dem Jugendlichen Marinus Schöberl, dessen Leiche kurze Zeit darauf in der Jauchegrube versenkt wurde, und weiß von Menschen vor Ort, wie die Jugendarbeit zu diesem Zeitpunkt tatsächlich aussah: Mit einer Kiste Bier machte man „Jugendarbeit“, die dann so ausartete wie bei diesem Verbrechen geschehen. Seltsam ist, wie lasch die Behörden bei Nazidemonstrationen und auch mit den Rechtsrockkonzerten umgehen, ganz sicher nicht so, wie mit den jungen Engagierten regen rechts und für demokratische Jugendarbeit! Irmela Mensah-Schramm, Berlin

„Dafür wurde die taz nicht gegründet“, taz vom 13./14. 4. 19

Mit der Mao-Bibel

Danke für den Artikel. Ob er in die Rubrik „Dafür wurde die taz nicht gegründet“ gehört, bezweifle ich. Ulli Kulke scheint sich aus der Mao-Bibel an dem Satz zu orientieren: „Die Dinge in der Welt sind kompliziert, sie werden von allen möglichen Faktoren bestimmt. Man muss die Probleme von allen Seiten betrachten und nicht nur von einer einzigen.“ Auch im linken Lager wird häufig etikettiert statt argumentiert.

Die Auseinandersetzung mit einer religiösen Ideologie, die zwischen Mauretanien und Aceh faschistische Regimes und faschistoide Gesellschaften festigt mit allen Konsequenzen wie Unterdrückung von religiösen und sexuellen Minderheiten und drakonischen Strafen bis hin zur Todesstrafe überlässt man Rassisten. Aber vielleicht ärgert er sich auch nur über verkürzte Debatten, in denen rechts (= CDU/CSU) in einen Topf geworfen wird mit Nazis, über verzagte Linke, die 2013 trotz Mehrheit im Bundestag keine Regierung gebildet haben, über die Änderung der Spielregeln im Bundestag, weil die AfD den Alterspräsidenten für die Eröffnungsrede gestellt hätte, oder einfach über Schreibende, die Texte mit Sonderzeichen produzieren, die Lesende nicht vorlesen können.

Die undemokratische Macht der Superreichen ist ihm beim Anrennen gegen von ihm als Tabus wahrgenommene Positionen leider aus dem Blick geraten, und der Gedanke, die Faschos in der AfD würden, zu Reaktionären geläutert, regierungsfähig werden, lässt mich gruseln. Das hatten wir schon mal. Ulrich Herbst, Berlin

Nee, Ulli

Als Ulrich Kulke rechts abbog, hat er offensichtlich an der Abzweigung seinen moralischen Kompass liegen gelassen. „Die Frage des demografischen Wandels ist die Mutter aller politischen Fragen“, würde ich voll unterschreiben. Wer in die Suchmaschine seines Vertrauens einmal „Gebrandmarkt Zeit Nr. 34/1977“ eingibt, erinnert sich vielleicht, wozu Springer-Blätter in der Lage sind. Ich hielte es für mich noch heute unmöglich, dort meine Brötchen zu verdienen oder gar eines der Blätter am Kiosk zu kaufen.

Kulke findet eine Partei akzeptabel, die die politische Elite im Land bekämpfen will und deren Bundesvorstand aus einem Professor, einer Unternehmensberaterin und einem Dr. jur. mit Jagdhundkrawatte besteht, die – vermutlich nicht nur nach meiner Definition – allesamt selbst der Elite angehören. Eine Partei, die den Spendensumpf der Altparteien zu bekämpfen vorgibt, mit gefälschten Unterstützerlisten aber gleichzeitig die Herkunft ihrer illegalen Spenden von einem Immobilienmilliardär zu verschleiern versucht.

Aber „Linksliberale haben mit vielen Irrtümern über vier Jahrzehnte den Diskurs bestimmt“ …Nee, Ulli, merkste selber, nä?

Joerg Goy, Handewitt

Nazi-Sprech

„Die Nazi-Narrative wirken fort“, taz vom 9. 4. 19

„Parasitärer Lebensstil – so die Diagnose von forensisch tätigen PsychiaterInnen in der Gegenwart über nicht wenige Sicherungsverwahrte. Die Sicherheitsverwahrung, 1933 von den Nazis eingeführt, sie wird nicht nur heute und das zunehmend öfter vollstreckt, in ihr und mit ihr leben auch solche Stigmatisierungen fort. Der Verwahrte, ein Parasit – das ist nicht weit entfernt vom NS-Sprech der „Ballastexistenz“. Thomas Meyer-Falk, Freiburg

Kuchen statt Brot

„Höchste Zeit für einen neuen Straßenkampf“, taz vom 16. 4. 19

Bei der Lektüre dieses Kommentars fiel mir Marie Antoinette ein, die letzte Königin Frankreichs, die 1793 ihr Ende auf dem Schafott fand, nachdem sie gesagt haben soll: „Wenn sie [die Armen] kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ Denn: Offenbar denkt Malte Kreutzfeld als Hauptstädter, dass Menschen deshalb in ihr Auto steigen, weil sie gefährliche Wahnsinnige sind, giftige Abgase ausstoßen möchten, andere Menschen bei Unfällen verletzen wollen, das Klima schädigen oder einfach mal die freie Fahrt für freie Bürger genießen.

Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass es auch Menschen gibt, die auf dem Lande wohnen, wo es keinen Bäcker gibt, keinen Veggie-Laden, keinen Supermarkt, keine Sparkassenfiliale, kein Hallenbad, kein Postamt, kein Gemeindebüro, kein Kino, keine Schule – und wo nur zweimal am Tag ein Bus in die Stadt fährt (morgens, um die Kinder in die Schule zu bringen, und nachmittags, um sie wieder abzuholen). Und dass es Menschen gibt, denen ihre Bahncard 50 dann auch nichts nützt, wenn sie mal in die nächste Kreisstadt ins Kino wollen oder einen neuen Personalausweis brauchen oder, oder – dass sie dann in ihr Auto steigen müssen, um in die Stadt zu kommen.

Dabei fällt mir dann wiederum Emmanuel Macron ein, der gesagt haben soll, wenn Menschen, also Gelbwesten und sonstige Terroristen zum Beispiel, kein Geld haben, um auch in der zweiten Monatshälfte noch ihr Benzin zu bezahlen, dann sollten sie sich doch ein E-Auto kaufen. Und nun frage ich mich, ob Malte Kreutzfeldt und Emmanuel Macron wohl auch auf dem Schafott landen werden? Udo F. Alberts, Neuengeseke

Wüste Gendersternchen

„Wir sind nicht vom selben Gendersternchen“, taz vom 10. 4. 19

Es war eine große Freude, die Wahrheit-Kolumne von Susanne Fischer zu lesen. Kommt da vielleicht etwas in Bewegung? Die Glosse spricht mir und vielen anderen aus meiner Umgebung aus dem Herzen. Die wüsten Gendersternchen, Binnen-Is, Binnen-Unterstriche, die Verdrehungen von Nomen in Partizipien machen das Lesen zu einer echten Plage.

Susanne Fischer macht sich darüber lustig, aber der taz-Sprech ist alles andere als lustig. Vielleicht gelingt es doch noch, wieder zu einer lesefreundlichen Orthografie zurückzukehren. Eigentlich würde ich die taz gern weiter lesen. Aber schon seit Längerem überlege ich, mir das nicht mehr anzutun. Vielleicht ist der kleine Lichtblick auf Seite 20 ein Anstoß zum Nachdenken in der Redaktion. Wenn dann noch die Seiten nicht mehr mit nichtssagenden, aber platzraubenden Fotos, Riesenüberschriften und weißen Flächen vergeudet werden, könnte ich mich erneut mit der taz anfreunden. Jörg Braunert, Moos