: Unter Verschluss
BEIGESCHMACK Schon das Ploppgeräusch würden Korkenfans missen, müssten sie ihre Weinflasche aufschrauben. Und dann erst der Geruch, die Struktur! Gentrifizier-Getue, finden Korkenhasser
PRO VON TILL EHRLICH
Tut mir leid, liebe Pragmatiker und Korkhasser, ich liebe Korken einfach. Ich mag das Ritual, den Korken rauszuziehen, dazu braucht es Geschicklichkeit und Übung. Und ich liebe das Ploppgeräusch. Manchmal misslingt es, und der Korken zerbröselt. Für solche Operationen habe ich ein Haarsieb.
Ich liebe es auch, den Korken anzufassen und dran zu schnuppern. Ich sammle die Dinger, manchmal, Jahre später nehme ich einen in die Hand und erinnere mich, wie der Wein geschmeckt hat.
Jeder Korken sieht anders aus, ist von winzigen Poren und dunklen Linien gezeichnet. Bei manchen älteren Weinen haben sich dort, wo der Korken den Wein berührt hat, funkelnde Kristalle aus Weinstein gebildet. Kork ist ein wunderbares, gewachsenes, natürliches Material, das ganz leicht in der Hand liegt und herrlich duftet nach dem Wein, den es jahrelang geschützt hat. Sehr selten riecht der Korken auch muffig, nach verfaulten Walnüssen. Dann ist es dumm gelaufen, der Korken war schlecht, der Wein ist verdorben. Das ist jedes Mal traurig, aber ich nehme es hin; ein Opfer für den Gott des Weins.
Die Ursache eines Korkschmeckers, also eines Weins, der Korkton hat – einen unangenehmen Beigeschmack? Nicht bekannt, mal werden Schimmelpilze in der Baumrinde der Korkeiche vermutet, dann wieder Herstellungs- oder Lagerprozess verantwortlich gemacht. Doch ein guter Korken tut dem Wein gut, er lässt ihn atmen. Von dem Moment an, wenn der Korken in der Flasche steckt, ist der Wein sich selbst überlassen. Jetzt kann der Winzer nicht mehr direkt auf ihn einwirken, und eine geheimnisvolle Reifung beginnt.
Gute Korken sind zwar dicht, lassen aber Nanomengen Luft hindurch, wodurch die komplexen Reifeprozesse im Inneren der Weinflasche beeinflusst werden. Der Wein wird dann besser, gewinnt an Geschmack. Diese Eigenschaft kommt jedoch erst bei längerer Flaschenlagerung zum Tragen. Ein Schraubverschluss verschließt zu hermetisch, sodass er den Wein ersticken kann, der Wein entwickelt sich dann oft dumpfer, weniger brillant. So zeigt ein Wein mit Schraubverschluss nach mehreren Jahren Lagerung ein anderes Geschmacksbild als der gleiche, der mit einem Korken verschlossen wurde.
Und so sind die Fronten verhärtet. Es geht nicht nur um Vorlieben und Gewohnheiten, hinter dem Korkstreit stehen wirtschaftliche Interessen, besonders der Verschlusshersteller. Beide Seiten haben aufgerüstet. Die Schraubverschlussproduzenten haben speziell für Weinflaschen ästhetischere Varianten entwickelt; die Korkindustrie hat die Korkqualität verbessert und setzt in jüngster Zeit auf grünes Marketing, propagiert Naturschutz und appelliert ans Umweltbewusstsein der Verbraucher. Seitdem gibt es Korkbotschafter: Multiplikatoren der Weinbranche. Es gibt ein neues Marketingwort: Naturkorken. Und die mediterranen Korkeichenwälder werden plötzlich als Biotope bezeichnet.
Dabei haben sich die Korkhersteller jahrzehntelang kaum um Natur und Umwelt geschert, haben Korkeichenwälder intensiv bewirtschaftet und Pflanzenschutzmittel eingesetzt, von denen vermutet wird, dass sie ein Auslöser des Korkgeschmacks gewesen sein könnten. Korken wurden mit Chlorlösungen sterilisiert. Allerdings waren es nicht diese rabiaten Methoden, die den Korkgeschmack vieler Weine eindämmen konnten. Eher die Marktverluste. Mit den Umsatzeinbrüchen ist die Qualität der Korken gestiegen, die Zahl der Korkschmecker rückläufig geworden. Heute ploppen hier und da sogar Ökokorken.
Bei Weinen, die jung getrunken werden, besonders Weißweinen, deren Geschmack von Frische und flüchtigen Fruchtaromen bestimmt wird, sind gasdichte Schraubverschlüsse vielleicht praktisch. Aber Weingenuss lässt sich nicht auf den raschen Konsum reduzieren. Die Faszination des Weins besteht auch darin, dass er sich entfaltet, mit den Jahren besser wird, sich lange aufbewahren lässt. Irgendwann aus einer Flasche, die aus dem eigenen Geburtsjahr stammt, den Korken zu ziehen, ist eine verrückte Sache. Schon dafür, liebe Pragmatiker, liebe ich ihn.
CONTRA VON STEFFEN GRIMBERG
Es war vor rund zehn Jahren in einem Weinladen des schon damals prächtig gentrifizierten Glockenbachviertels gleich hinter dem Sendlinger Tor. München war terminlich abgehakt, der Käse nebst Brot als Zehrung für die noch gern mal achtstündige Bahnfahrt back to Berlin gekauft. Fehlte nur noch der Wein, rot musste er sein, natürlich. Und möglichst dicht, geschmacklich wie von der Flasche her. Schon wegen des Weichengeschunkels beim Ritt über den Thüringer Wald. Und weil man ja nicht in jedem Fall die Flasche leeren, sondern den Rest in den Rucksack stecken und sich halbwegs nüchtern nach Hause trollen wollte.
Im Weinladen war Kundschaft; ein Gentrifizierer-Paar mittleren Alters befleißigte sich bei der Getränkeauswahl. Es schien um einen runden Geburtstag oder sonst etwas Größeres zu gehen. Da wurde verkostet, mit den Augen gerollt und der Zunge geschnalzt, wie man das im Handbuch für Weinschmecker, die groß rauskommen wollen, eben so lernt. Gesucht wurde das ganz Besondere, beflissen schleppte der Maitre immer neue Flaschen an, die mit Brimbamborium entkorkt und beschnüffelt wurden.
Bisschen affig, aber hinreißend anzusehen. Problem nur: Der Zug fuhr, und zwar bald. Man selber war aber längst nicht am Bahnhof, nur der Käse machte sich schon leicht olfaktorisch bemerkbar. Also Luft geholt und aus dem Hinterhalt losgekräht: „T’schuldigung, ich hab’s leider eilig, muss zum Zug – haben Sie auch irgendwas anständig Rotes mit Schraubverschluss?“
Hier muss sich der Floskel bemüht werden: Wenn Blicke töten könnten. „Schraubverschluss!“ Das saß: Durfte man derlei Lästerliches in einer Münchner Vinothek überhaupt aussprechen? Das solvente Paar übte sich in kollektiver Schnappatmung. Der Maitre schaute erst weg, dann verwegen – und erkannte: Der Typ meint es ernst, bitterernst, Widerstand zwecklos.
Wozu auch: Wein wird nicht gemacht, um gelagert, sondern um getrunken zu werden. Und wo zwischenzeitlich jeder dritte Korken verkorkst schien, bot selbst vermeintliche Edelware keine Garantie gegen Korkschmecker und andere unschöne Begleiterscheinungen. Vom bis heute auf günstigeren Cuvés üblichen Presskork aus recycelten Jugendzimmer-Pinnwänden ganz zu schweigen. Dann lieber die quietschigen Plastepropfen, die krümeln nicht so und sind manchmal so hübsch bunt.
Doch auch die sind kein Schutz vor den beliebten Lachen auf dem Abteilboden, wenn der Zug bei der Ausfahrt aus Lichtenfels kleine Freudensprünge macht und die Flasche ihren Kork nicht halten kann. Und selbst wenn sich das Ende der Fahrt ohne Malheur bestreiten lässt, küssen sich später im Rucksack bestimmt wieder Bouteille und Laptop, und übrig bleibt in der Bouteille wenig mehr als klebrige Restpfütze.
Zudem schützte der Schrauber immer schon vor dem Fanal aller Weinfreunde: Im Zug zu merken, dass man ausnahmsweise nicht die Zahnbürste, sondern den Korkenzieher vergessen hatte. Natürlich, werden echte Korkverfechter jetzt einwenden, lässt sich ein Korken auch mit der Zahnbürste prima in die Flasche drücken; die dabei meist unvermeidliche Fontäne belüftet dann auch noch gleich den Wein und man kann sich das Dekantieren sparen.
Wer sich aber auch sonst erfolgreich aus dem „Jugendherberge im Achtbettzimmer“-Stadium fortentwickelt hat, greife getrost zum Schraubverschluss. Denn auch geschmacklich oder in Sachen Struktur und Entwicklungspotenzial haben selbst Weinforschungsanstalten über Jahre kaum einen Unterschied zwischen Schrauber und Kork gefunden, so sehr sie sich auch mühten. Mal ehrlich: In einer Blindprobe würde kaum einer die Verschlusssache Wein herausschmecken. Es sei denn, er hat – ähem – Kork.
Das wusste schon damals der untadelige Maitre im Glockenbachviertel. Er kramte einen untadeligen Blauen Zweigelt irgendwo unten aus dem Regal – die Ösis, gerade halbwegs vom Glykolskandal erholt, waren uns weinmäßig halt immer voraus. Unnötig zu sagen: Die Flasche war schon kurz hinter Lichtenfels leer.