DIE STIMMEN DER ANDEREN :
■ El País (Spanien)
Schwäche des gemäßigten Islam
Der Mord an dem US-Botschafter Stevens, der sich für die Demokratisierung Libyens eingesetzt hat, ist ein Warnsignal der Instabilität im Land. Die gemäßigt islamistische Regierung, die aus den Wahlen im Juli hervorgegangen ist, zeigt eine außerordentliche Schwäche gegenüber der zunehmenden politischen Gewalt, der Konsolidierung zahlreicher territorialer Milizen und dem Aufstieg der radikalsten Form des Islamismus. In Bengasi hat sich nicht nur die Ineffizienz der Sicherheitskräfte offenbart, die nicht fähig sind, einen organisierten Angriff abzuwehren, sondern auch die Inkompetenz der Interimsregierung. Solange die bewaffneten Gruppen, die ihr Gesetz diktieren, nicht aufgelöst werden und der gewalttätige Fundamentalismus nicht entschieden bekämpft wird, kann in Libyen kein Rechtsstaat errichtet werden.
■ Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)
Glaube nur vorgeschoben
Offensichtlich ist es den Bewaffneten – allem Anschein nach Salafisten – unter den Demonstranten nicht um die Respektierung religiöser Tabus gegangen, sondern um eine Machtdemonstration vordergründig gegen Amerika, eigentlich aber gegen das neu gewählte libysche Parlament. Darin sind islamistische Extremisten kaum vertreten. Die Ermordung des amerikanischen Botschafters Stevens und dreier seiner Mitarbeiter deckt schlaglichtartig das Scheitern der bisherigen Übergangsregierung im Sicherheitsbereich auf. Es gelang dieser nicht, ihre Autorität im ganzen Land zur Geltung zu bringen, vor allem nicht gegenüber den zahlreichen Milizen, die in den Zonen ihres Einflusses immer noch nach Belieben schalten und walten können. Vor diesem Hintergrund wirkt der Ruf des neuen Parlaments nach einer Bestrafung von Stevens’ Mördern seltsam hilflos.
■ Le Monde (Frankreich)
Totengräber ihrer Religion
Was auch immer der Vorwand gewesen sein mag – und hier gibt es mehrere Hypothesen –, die Männer, die am Mittwoch den US-Botschafter in Libyen ermordet haben, haben dem Islam und ihrem Land einen schweren Schlag zugefügt. Sie sind die Totengräber ihres Glaubes und ihrer Zukunft. Der Mordanschlag von Bengasi ist Teil einer langen Serie von kriminellen Taten, die nicht wenig dazu beigetragen haben, dem Islam das Image einer gewaltbereiten und intoleranten Religion zu verschaffen. Die Gotteskrieger sind von der irrwitzigen Vision eines Krieges ‚gegen die Juden und die Kreuzritter‘ getrieben. Sie töten im Namen einer Religion, deren Ansehen sie immer mehr schaden.“
■ Berlingske Tidende (Dänemark)
Gewaltige Aufgabe für Mursi
Dass ein Amateurfilm mit frei erfundenen Behauptungen über Mohammed den Nahen Osten möglicherweise in Brand setzt, zeigt deutlich, vor welch gewaltiger Aufgabe die neuen arabischen Führer stehen. Sie besteht darin, die Wünsche aus der Bevölkerung nach Demokratie und Freiheit zu erfüllen, statt sie in Unwissen darüber zu halten was außerhalb der eigenen Welt geschieht. Und was man auch mal aushalten muss in einer Welt voller merkwürdiger Ansichten über andere. Wenn Ägyptens Präsident Mursi ein demokratischer Führer sein will, muss er sich jetzt mit denen auseinandersetzen, die anderes als Freiheit wollen. Das ist er dem Arabischen Frühling schuldig.
■ Kaleva (Finnland)
Unvereinbare Welten
Schon die Mohammed-Karikaturen vor einigen Jahren haben gezeigt, dass es zwischen der westlichen und islamischen Welt Werteunterschiede gibt, die in der Praxis miteinander unvereinbar sind. In vielen islamischen Ländern scheint der Irrglaube vorzuherrschen, dass die Staatsführungen die Meinungsfreiheit einfach so in Ketten legen können. Oder vielleicht weiß man auch, dass es nicht so ist, akzeptiert es aber nicht. In den säkularen westlichen Staaten wiederum scheint man vergessen zu haben, welche zentrale Rolle der Glaube im Leben vieler Menschen in einem großen Teil der Erde noch einnimmt. Dieser Aspekt scheint auch viele Bürger im Westen bei der Auseinandersetzung um Pussy Riot in Russland überrascht zu haben.
Quelle: eurotopics, dpa