: Nicht eine Idee von Glück
In „Will happiness find me?“ untersucht Samir Akikas Choreografie das Glück. Ohne roten Faden, Spannungsbogen und Erzählungstrom –und mit auffällig wenig Tanz
Von Jens Fischer
Vollkommen befriedigt sein, sich wunschlos fühlen: Glück erleben, weil einem die Umstände, die Götter oder das Schicksal wohlgesonnen sind. Oder weil man diese Mächte wohlgesonnen gestimmt und sich so selbst ins Reich der Happiness befördert hat. Das ist Samir Akikas Thema für die erste Choreografie als Ex-Chef und Nur-noch-Hauschoreograf der Tanzsparte des Theaters Bremen. „Will happiness find me?“ – so lautet der bange Titel für den ambivalenten Kampf ums Glücklichsein.
Das Recht darauf ist sogar in die US-Verfassung eingeschrieben und längst zum Imperativ der Moderne geworden – der natürlich auch Leistungsdruck erzeugt. Als Schlachtfeld für einen Motionskanon, der zwischen passivem Ersehnen und aktivem Erstreben zu changieren hat, nutzt Akika einen heimelig von Lattenzäunen flankierten Garten bürgerlicher Seligkeit. Den hat Bühnenbildner Karl Rummel allerdings durcheinandergewirbelt zu verkanteten und teilweise tollkühnen der Decke entgegenstrebenden Grünflächen-Fragmenten.
Glücksverheißende Rückkehr zur Natur ist angesagt – oder wenigstens zur Parzelle, dem Campingplatz und einer edel-wilden kindlichen Naivität. Auf einem DJ-Olymp produzieren Jayrope und Suetszu ihren Electroclash-Soundtrack dazu. Die Party kann beginnen.
Als Prolog und wiederkehrendes Motiv setzt Akika auf die Slapstick-Nummer Mensch vs. Staubsauger – als Vertreter der bösen Moderne. So nach und nach treffen lässig weitere Garten-Happiness-Freunde ein und starten diverse Versuche, Feierabendlaune mit Glücksgefühlen zu veredeln. Die Geschmäcker sind da sehr verschieden. Ein Pärchen spielt Schnick, Schnack, Schnuck – der Verlierer bekommt einen glühend heißen Löffel auf die bloße Haut gedrückt: kurzes Schmerzglück.
Andere machen da weiter, wo sie Karneval aufgehört haben: wackeln im Goldbärchenkostüm oder krabbeln in Wurmverkleidung herum und verzieren Gesichter mit glitzerndem Flitter. Auch praktizierte Kita-Erinnerungen sind zu erleben. Mit Plastikeimern auf dem Kopf spielt das Ensemble Blinde Kuh, Kriegen, Verstecken, Topfschlagen, Rundlauf, mit Spielzeugwaffen auch Erschießen – ja, ja, John Lennon sang mal: „Happiness is a warm gun“.
Aber guck, da hüpft jemand einfach so, dort rutscht einer eine Schräge herab. Kampfkunsttraining beginnt. Ein Autoreifen ist zum Schaukeln da. Eingespielte Regensounds animieren zum Krabbeln auf allen Vieren. Lieder werden gesungen. Es kommt zu Kissen- und Klopapierschlachten. Nicht unbeklettert bleibt eine Boulderwand. Bald chillt das Ensemble auf einem Sofa und chargiert in Zeitlupe die Spaßgrimassen von Feierbiestern. Gegen den kleinen Hunger fischt sich ein Pfiffikus mit Essstäbchen frisch eingespeichelte Nudeln aus Mündern der Kollegen. Bei einem Kennlernspiel ist zu erfahren, was Glückskribbeln erzeugen kann: Lego oder Playmobil, BH tragen oder nicht, sozial miteinander oder allein sein. Manchmal finden auch Suchbewegungen statt, irgendetwas gemeinsam hinzubekommen – und sei es, dass aus fragenden Blicken und beiläufigen Berührungen ein sportives Anspringen wird.
Diese Aneinanderreihung klingt langweilig? Beliebig? Kommt da noch was? Nun ja. Nicht dass dann das Klischee bedient wird, in der Tanzsparte würde getanzt, aber das achtköpfige Ensemble darf seine tänzerischen Bezugspunkte zumindest ganz dezent mal andeuten: Folkwang-Eleganz, Kunstturnakrobatik, Modern-Dance-Wildheit, Breakdance, Freizeitsport, Ballett, Performance, Schauspiel. Die bundesweit einmalig bunt gemixte Compagnie könnte so wieder mal der Star des Abends sein.
Ist die unfassbar wurschtige Coolness der Darbietung vielleicht sogar als Parodie auf aktuelle Happiness-Trends gemeint? Szenische Belege für eine wirklich inhaltliche Auseinandersetzung sind aber nur in Spurenelementen zu finden. Nichts zaubert Glückseligkeit ins Antlitz der Beteiligten. Nichts strukturiert das Geschehen zu einem Erzählstrom. Ohne dramaturgisch roten Faden, ohne Spannungsbogen flattern nur Bildassoziationsfitzel über die Bühne. Das wurde genauso konsequent zwar schon in der erfolgreichen „Polaroids“-Produktion praktiziert, aber dort saß nicht das Publikum vor einer angeblich Premieren-reifen Inszenierung, sondern durchstromerte ein ständig verwandeltes Probenlabor und erlebte kreative Prozesse als Show künstlerischer Selbstentwürfe. Da passte die Ästhetik des Provisorischen zum Inhalt und steckte an mit Spielfreude, Spaßhaben, Lebenslust. Bei der Suche nach dem Glück funktioniert das nur als Leerlauf und lässt sie implodieren. Kein Inszenierungsglück für Samir Akika.
Wieder am 13. 4., 20 Uhr, sowie am 21. 4., 18.30 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus
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