: Das Herz heraushämmern
Noch probt der lettische Regiestar Alvis Hermanis in Gladbeck. Sein RuhrTriennale-Auftragswerk „Das Eis“ nach dem Roman von Vladimir Sorokin verwandelt Theater in Museen. Premiere ist diese Woche
AUS GLADBECKPETER ORTMANN
Überdimensionierte Frikadellen schauen auf Relikte der Kohle-Industrie. Irgendwo findet sich auch gesprühte Neonazi-Propaganda an den Wänden. Tiefe Löcher im Boden sind mit Holzsperren gesichert. In der Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck erprobt Alvis Hermanis für die RuhrTriennale noch die Produktion „Das Eis“ – als kollektives Lesen eines Buches mit Hilfe der Imagination.
„Eine normale Theaterperformance“, sagt der neue lettische Theaterstar leise. Mit einer Pause für Toilette oder einen Kaffee, dort wo die Megafotos der fetten Buletten hängen. Hermanis mixt bildende Kunst mit industriellen Theaterräumen, die dann eher an Museen als an traditionelle Guckkästen erinnern. Die RuhrTriennale hat den Chef des Neuen Theaters in Riga eingeladen - Jürgen Flimm kannte den jungen Regisseur, der einmal Schauspieler war, aus Salzburg. „Das Eis“, ein Auftragswerk der Triennale, hat Hermanis bereits am schauspielfrankfurt geprüft. „Hier ist dann die Uraufführung mit lettischen Schauspielern und den deutschen Akteuren aus Frankfurt gemeinsam“, sagt Triennale-Intendant Flimm. In Gladbeck kommen noch neun Statisten vom Knappenverein Essen dazu. Der junge Regisseur strebt in seiner Theaterphilosophie nach Grenzüberschreitungen.
Ausgangsmaterial für die überhaupt nicht normale Zuschauer-Reise durch die verschiedenen Räume der Maschinenhalle ist der Roman „Ljod“ des russischen Schriftstellers Vladimir Georgievic Sorokin aus Moskau. Für ihn ist Russland ein Eldorado, wo man nichts erfinden müsse. Das ganze Leben dort sei literarischer Stoff. Im Fantasythriller „Das Eis“ entführen geheimnisvolle Sektenmitglieder in Moskau zwei blauäugige, blonde Männer. Sie sollen mit Hilfe eines „kosmischen Eishammers“ aufgeklopft werden, um das sprechende Herz zum Glühen zu bringen. Es ist eine mystische Geschichte mit mordenden Monstern, glückstrunkenen Jüngern und erzählt von Erlösungs- und Weltherrschaftstheorien.
Noch kann Alvis Hermanis nur durch leere Räume führen und die Ohrenschützer zeigen, die Zuschauer aufsetzen müssen, wenn sie den Protagonisten im Stück folgen. Sie sollen dann den Beat, der durch den ehemaligen Werkraum wabbern wird, nur physisch fühlen. Weiter hinten liegen Schauspieler in großen Glaskästen wie Ausstellungsstücke und aus durchsichtigen PET-Flaschen wurde ein geheimnisvoller Werkraum installiert. Für die Gestaltung und die großformatigen, inszenierten Fotos von Menschen, Buletten und Reibeplätzchen steht die lettische Künstlerin Monika Pormale, die seit 2000 regelmäßig mit Hermanis zusammen arbeitet. Auch sie untersucht in ihren Arbeiten das Verhältnis von Film, Theater und bildender Kunst.
Der Regisseur ist gerne im deutschsprachigen Raum. Hier werde das Theater noch respektiert und mit Steuergeldern unterstützt. „Nur so ist professionelles Arbeiten möglich“, sagt Hermanis der taz. In den USA sei Theater eher eine Industrie, die nach Gewinn streben müsse und so Inhalte verrate. „Ein Tchechov würde heute allerdings auch hier eher fürs Fernsehen schreiben“ sagt er. Auch in Europa werde zwar alles kommerzieller, doch hier hätten die ursprünglichen theoretischen Ideen eines Stanislawski überlebt und die Theatermacher seien wesentlich kreativer als in Russland. In der Sowjet-Union seien die russische Tradition des Theaters aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts zerstört worden, heute sei alles sehr konservativ.