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Archiv-Artikel

„Angst macht vorsichtig“

Wilfried Gräfling

„So kleine Körper mit schwersten Verbrennungen zu sehen, das geht einem schon nahe. Für die Kollegen, die die verbrannten Kinder in die Rettungswagen gebracht haben, war das eine Extremsituation“„Feuerwehrleute müssen keine Helden sein oder besonders stark oder cool. Wichtig ist eine gewisse innere Stabilität und Ruhe, sonst würde man vermutlich in den Alkohol oder Ähnliches ausweichen“

Schon seit 1983 arbeitet Wilfried Gräfling bei der Berliner Feuerwehr. Seit fünf Jahren hat er 3.500 Mitarbeiter unter sich. Über dem 50-Jährigen steht nur noch Feuerwehrchef Broemme. Dennoch ist auch für Gräfling ein Brand wie der vor zwei Wochen in Moabit keine Routine. Ein 12-Jähriger zündelte im Treppenhaus. Das Feuer geriet trotz eiliger Löschversuche außer Kontrolle. Neun Mieter versuchten in Panik zu flüchten und rannten geradewegs in den Tod. Selten ist die Feuerwehr nach einem Einsatz so kritisiert worden. „Wir haben getan, was möglich war“, zieht der Vizechef der Feuerwehr Bilanz. „Es ist nicht schön, in die Pfanne gehauen zu werden, wenn man sein Bestes gegeben hat“

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Gräfling, Sie sind selbst Vater. Was haben Sie bei der Nachricht empfunden, dass ein Kind – exakt im Alter Ihres Sohnes – für den Brand in der Ufnaustraße verantwortlich ist?

Wilfried Gräfling: Das trifft einen hart. Der Einsatz hat uns ja alle sehr mitgenommen.

Haben Sie gedacht, das hätte auch mein Junge sein können?

Nein. Dafür spreche ich mit ihm zu häufig über meinen Beruf. Interesse am Feuer ist in in diesem Alter ganz normal. Ich kenne nur wenige Leute, die nicht als Kind gezündelt haben.

Sie auch?

Natürlich. Das ist zwar schon ein bisschen her, aber ich weiß noch, dass ich mit Zeitungspapier und Streichhölzern gezündelt habe. Später auch mit diesen kleinen Feuerwehrskörpern, Zieselmännchen haben wir dazu gesagt. Wir haben das Schwarzpulver rausgeholt und geguckt, ob wir daraus was Größeres bauen können. Eigentlich sollte ich das hier nicht erzählen. Aber die Neugier der Kinder ist nun mal da. Es ist ungemein wichtig, sich damit zu befassen, um solche schlimmen Dinge wie in der Ufnaustraße zu verhindern.

Kann man Eltern einen Vorwurf machen, deren Kinder zündeln?

Nein. Man kann es hundert Mal verbieten, das Kind tut es doch. Rigorose Verbote erhöhen nur den Reiz. Das Beste ist, ganz ruhig mit dem Kind darüber zu sprechen und die Gefahren zu erklären. So halte ich das auch mit meinen drei Kindern. Ganz wichtig ist auch, gemeinsam Feuer zu machen – vom Kerzen-Anzünden bis zum Lagerfeuer.

Auch der Mutter des 12-Jährigen würden Sie keinen Vorwurf machen?

Ich würde sie fragen, ob sie mit ihrem Sohn jemals über die Gefahren von Feuer gesprochen hat. Wenn ich einen Vorwurf erheben würde, dann den: Warum ist die Feuerwehr nicht umgehend alarmiert worden? Wir gewinnen zunehmend den Eindruck, dass wertvolle zehn Minuten verloren gegangen sind. Zehn Minuten in einem trockenem Raum mit trockenem Holz ist für ein Feuer eine sehr, sehr lange Zeit, erst recht in einem Treppenhaus.

Die ersten Einsatzkräfte waren um 23.12 Uhr da. Fünf Minuten nach dem Eingang des ersten Hilferufes. Wie lange hat es gedauert, bis der Brand gelöscht war?

Fünf bis acht Minuten. Um 23.20 Uhr war das Feuer definitiv gelöscht. Kurz nach Mitternacht sind Herr Broemme und ich informiert worden, dass mehrere schwer Verbrannte, vermutlich sogar Tote gefunden worden sind.

Feuerwehrchef Broemme und Sie sind daraufhin sofort zum Einsatzort gefahren. Tun Sie das oft gemeinsam?

Nein. Das sind schon besondere Ereignisse. Wir wollten uns ein eigenes Bild von der Lage machen und ganz unmittelbar Solidarität zu unseren Leuten dokumentieren. Das letzte Mal waren wir im April 2004 bei einem Brand in der Beusselstraße gemeinsam draußen.

Was war dort los?

Damals sind zwei Freiwillige Feuerwehrleute aus dem fünften Obergeschoss gesprungen, um sich selbst zu retten. Die Situation war so ähnlich wie in der Ufnaustraße. Vorderhausbrand. Altbau. Während unsere Leute im Treppenhaus waren, um die Mieter aus den Wohnungen zu holen, ist es zu einer Durchzündung gekommen, mit der Folge, dass zwei Feuerwehrleute oben von den Flammen eingeschlossen wurden. Es gab keinen Weg mehr nach unten oder nach oben auf das Dach. Nur den Weg durchs Fenster in den Innenhof. Auf den Hilferuf der zwei hin wurde ein Sprungpolster aufgebaut.

Die beiden haben überlebt?

Ja. Sie hatten aber sehr schwere Verbrennungen. Der eine wäre fast an einer Sepsis gestorben. Die Amputation von Teilen seiner Finger hat ihm das Leben gerettet. Der andere hatte einen Beckenbruch erlitten. Er war auf der Kante des Sprungpolsters aufgekommen und auf den Boden gefallen.

Zurück zur Ufnaustraße: Was für ein Bild bot sich Ihnen in der Nacht?

Als ich kam, wurde gerade die letzte leblose Person – ein Kind – aus dem Haus getragen. So kleine Körper mit schwersten Verbrennungen zu sehen, aber auch die von Erwachsenen, das geht einem schon nahe. Ich selbst komme nicht mehr so oft mit Schwerverletzten in Berührung. Für die Kollegen, die die verbrannten Kinder in die Rettungswagen gebracht und dort zum Teil noch vergebens Wiederbelebungversuche gemacht haben, war das eine Extremsituation.

Was muss man für ein Mensch sein, um so etwas ertragen zu können?

Das gehört nun mal leider zu unserem Beruf. Man muss einen Mechanismus entwickeln, die Dinge nicht zu dicht an sich heranzulassen. Feuerwehrleute müssen keine Helden sein oder besonders stark oder cool. Wichtig ist eine gewisse innere Stabilität und Ruhe, sonst würde man vermutlich in den Alkohol oder Ähnliches ausweichen.

Bekommen Ihre Leute nach solchen Einsätzen psychologischen Beistand?

Dafür gibt es die Nachsorgeteams, die sich noch in derselben Nacht mit den Leuten zusammensetzen. Es geht darum, die Eindrücke nicht wegzudrücken oder zu verdrängen, sondern zu bewältigen. Von ganz zentraler Bedeutung dabei ist die Frage, die sich nach dem Einsatz in der Ufnaustraße jeder von uns gestellt hat: Haben wir richtig gehandelt, wenn es so viele Schwerverletzte und Tote gab?

Wie lautet Ihre Antwort?

Meine Einschätzung war und ist: Wir haben getan, was möglich war. Mehr konnten wir nicht tun. Das habe ich den Leuten in jener Nacht auch so vermittelt. Unsere Feuerwehrleute und Rettungskräfte haben bis in den Morgen mit den Nachsorgeteams zusammengesessen. Ganz wichtig ist auch das Duschen. Damit wäscht man auch einen Teil der Anspannung ab. Eine unserer Grundregeln lautet: Wenn man nach Hause fährt, sollte man den Einsatz möglichst für sich abgeschlossen haben.

Selten ist die Feuerwehr nach einem Einsatz so kritisiert worden wie nach diesem. Wie haben die Beamten das empfunden?

Es ist nicht schön, in die Pfanne gehauen zu werden, wenn man seinen Kopf hingehalten und sein Bestes gegeben hat.

Was steht bei einer Brandlöschung für die Feuerwehr im Vordergrund: Selbstschutz oder Lebensrettung?

Bei uns heißt es nicht umsonst: Wir gehen da rein, wo andere rausrennen. Immer wieder setzen die Kollegen und Kameraden ihr eigenes Leben aufs Spiel, um anderes Leben zu retten. Es bringt aber nichts, offenen Auges ins Verderben zu rennen. 600 bis 800 Grad kann auch ein Mensch in bester feuerfester Schutzkleidung nur Bruchteile von Sekunden aushalten. Deshalb gehen wir nicht in die Flammen rein. Aber wir sind so nah dran wie möglich.

Darf ein Feuerwehrmann Angst haben?

Er muss Angst haben. Angst macht vorsichtig. Angst führt dazu, die Situation richtig einzuschätzen. Schließlich haben wir ein deutlich höheres Risiko als andere Berufsgruppen.

2004 sind ihre Leute zu fast 7.000 Brandeinsätzen ausgerückt. Nirgendwo sonst in Deutschland brennt es so oft wie in Berlin.

Beim Branddezernat des Landeskriminalamtes hieß es schon mal: Berlin sei die Stadt der Brandstifter. Die meisten Brände sind aber eher unspektakulär. Technische Defekte, Rauchen im Bett, offene Kerze, Herd mit Kochtopf drauf angelassen. Zündeln und Kokeln ohne zerstörerische Absicht, womit wir wieder bei den Kindern wären.

Jeder dritte Brand wird von einem Kind gelegt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Feuer ist einfach faszinierend. Ich sage immer scherzhaft: In jedem Feuerwehrmann steckt auch ein kleiner Pyromane. Das ist natürlich absoluter Quatsch.

Faszination am Feuer –war das für Sie der Grund, den Beruf zu ergreifen?

Ich wollte schon mit 12, 13 Jahren Feuerwehrmann werden: Faszination am Feuer, Abenteuerlust, Gemeinschaft, Kameradschaft, Herausforderungen erleben – es hat viele Gründe gegeben.

Auch private?

Ich bin in Westerholt im Ruhrgebiet aufgewachsen, eine Kleinstadt mit 13.000 Einwohnern. Meine Eltern waren mit dem Wehrleiter der Freiwilligen Feuerwehr befreundet: Onkel Hubert. Bei dem habe ich meine ersten Gehversuche unternommen. Auf Wunsch meiner Eltern habe ich aber erst Abitur gemacht, bevor ich als Jugendfeuerwehrwart und Kreisjugendfeuerwehrwart engagiert habe. Nach einem Elektrotechnikstudium habe ich mein Hobby dann zum Beruf gemacht.

Faszination am Feuer, wie drückt sich die bei Ihnen aus?

Ich kann stundenlang am Lagerfeuer sitzen und in die Flammen gucken: Es gibt ständig wechselnde Farben und Veränderungen. Holz, Glut, Zerfall, Asche. Feuer spendet Wärme und Licht. Aber es steht auch für Zerstörung. Das ist schon extrem.

Wo endet Faszination und beginnt Pyromanie?

Pyromanie ist eine Krankheit. Ein Pyromane legt bewusst Feuer, um etwas zu zerstören oder um einen besonderen Kick zu erfahren. Brandstifter haben nicht selten eine pathologische Beziehung zum Feuer bis hin zur sexuellen Befriedigung.

Warum wissen so wenig Leute, wie sie sich beim Brand verhalten sollen?

Verdrängung. Das ist so wie mit einer schlimmen Krankheit. So etwas ist erst mal weit weg. In der konkreten Situation kommt dann noch Stress und Panik dazu. Eine Mieterin aus dem Hinterhaus in der Ufnaustraße hat mir erzählt, dass sie tatsächlich die Rufnummer der Feuerwehr vergessen hatte. Darum machen wir ja so viele Kampagnen. Die momentane Aufmerksamkeit für das Thema gilt es zu nutzen. Wir fordern schon lange, dass der Einbau von Rauchmeldern in den Häusern gesetzlich vorgeschrieben wird.

Reagieren Menschen aus anderen Kulturkreisen in Paniksituationen anders als Deutsche?

Nach unserer Erfahrung ganz eindeutig. Dabei spielt gewiss auch mangelndes Vertrauen in die Feuerwehr eine Rolle, die in dem Herkunftsland vielleicht nicht so gut funktioniert hat. Anders können wir uns die überstürzten Reaktionen nicht erklären.

Meinen Sie die neun Menschen, die in der Ufnaustraße ins Treppenhaus und damit in den Tod gerannt sind?

Nicht nur. Bei einem Brand in Kreuzberg hat eine Migrantin ihr Kind aus einem Fenster im dritten Stock geworfen und ist dann selbst hinterher gesprungen. Aus unserer Sicht hat es überhaupt keinen Grund für diese Panikreaktion gegeben. Auch da hatten meine Leute die Lage völlig unter Kontrolle.