: Die Musik des Alexander Hacke
Gemeinsam mit den Tiger Lillies, einer britischen Dark-Cabaret-Band, führte der Neubauten-Gitarrist am Donnerstag „Berge des Wahnsinns“ auf, sein H.-P.-Lovecraft-Spektakel. Auf eine rührend-harmlose Art und Weise gruselt man sich wirklich
VON JENNI ZYLKA
Was sollte aus so einem Mann auch werden? Vater stirbt im Irrenhaus, vermutlich Syphilitiker. Junge ist oft krank, liest den ganzen Tag. Fängt an zu schreiben. Kommt nicht aus Providence, Rhode Island, heraus. Lebt zu eng mit seiner Mutter zusammen, die später auch im Irrenhaus verendet. Heiratet zwar, die Ehe ist aber nur von kurzer Dauer. Hat Depressionen. Schreibt immer düsterer. Und düsterer. Und düsterer. Stirbt mit 47 an Krebs, hat zu diesem Zeitpunkt eigentlich kein richtiges Buch herausgebracht.
Und trotzdem – H. P. Lovecraft ist seit Jahrzehnten einer der bekanntesten Horrorautoren. Postmortem, was ja eigentlich zu einem solch traurigen Leben passt. Lovecraft sei „sozusagen der B-Poe“ findet Alexander Hacke, Gitarrist der Einstürzenden Neubauten, Filmmusiker, Solokünstler. Hacke ist Lovecraft-Fan und Fan der Tiger Lillies, einer britischen „Dark Cabaret“-Band – drei Männer mit Schlagzeug, Akkordeon, Stehbass und singender Säge, die in Minstrel-Schminke und Anzügen eine eigenwillige Mischung aus Falsettgesang, Brecht’schen Balladen und Folkmusik machen. Hacke hat sich in den Kopf gesetzt, eine Musikshow mit den Tiger Lillies und eigenen Sounds, basierend auf ausgewählten Lovecraft-Stories, auf die Bühne zu bringen.
Die Uraufführung von „Berge des Wahnsinns“ am Donnerstag in der Arena war dementsprechend wunderlich: Das Bühnenbild bestand aus großformatigen Bildern von Danielle de Piciotto, in einem naiven Natura-Morte-Stil gemalte tanzende Ratten oder skurrile Monster beim Picknick. Davor standen die in Anzug und Bowlinghut gewandeten Tiger Lillies, die Hacke sich „mit ihren akustischen Instrumenten wie auf einem Boot, das auf einem schwarzen Meer aus Elektrosounds dümpelt“ vorstellte. Das Elektrosoundmeer (Geräusche, Geknalle, Geknatter, Dr.-Mabuse-Orgel) ergoss sich aus einer Konsole mit Computern, von der aus der schnieke befrackte Hacke die Zwischentexte, Infos über H. P. Lovecraft, in der tiefsten ihm zur Verfügung stehenden Stimmlage lippensynchronisierte und ansonsten den „Mad Scientist“ (oder „Mad Musician“) mimte und mit großen Gesten den Grusel zu unterstreichen suchte.
Gruselig, auf eine harmlose, dem frühen 20. Jahrhundert angemessene, fast rührende Art sind die Lovecraft-Geschichten allemal. Lovecrafts ermüdende Adjektivvielfalt und die dadurch entstehende gewisse literarische Einöde wurde von den Tiger Lillies schick umschifft, die eigene Textkonglomerate aus Kurzgeschichten wie „Die Ratten in den Wänden“, den „Chtulhu Mythos“, „Charles Dexter Ward“ und den „Fleischer“ gedichtet hatten. Irgendwie dachte man zwar immer an Klaus Nomi, der mit einer Klezmerband Pink-Floyd-Stücke nachspielt, aber das lag bestimmt auch an der Kabuki-Schminke des Sängers. Allerdings hätte man mehr Gruftis erwartet, oder zumindest ein paar schön gestylte Black Metaller, schließlich „haben sich unzählige Black Metall Bands nach Lovecraft-Geschichtentiteln benannt“, wie Hacke wusste. Stattdessen saßen an die 1.000 kulturinteressierte und nur peripher schwarz gekleidete Menschen in der bestuhlten Arena und waren vor allem von den kauzigen Tiger Lillies bezaubert. Das komplett Irre, den leidvollen und psychischen Horror von Lovecrafts Visionen, die vor allem auf seine eigenen Erfahrungen und die – gegenüber Schwachem – brachiale Mentalität seiner Umgebung in dieser Zeit beruhen, konnten allerdings Hacke und die Tiger Lillies nur auf eine sehr respektvolle Art parodieren – es ist einfach zu lange her. „Inside Lovecraft“ war es darum nicht, eher „inside Hacke“.