Des Kaizers neue Platte

Grunge denken, Folk spielen, Walzer drehen, Ölfässer und Radkappen bearbeiten, Tom Waits lieben, auf dem Balkan tanzen, Anzug mit Gasmaske auf der Bühne tragen und Norwegisch singen: das Kaizers Orchestra

Die Gretchenfrage: Was ist eine Konzept-Band? Sagt unser Faust-Darsteller: Wir nicht! Aber schließlich haben wir es hier mit einem Mann zu tun, der seine Seele verkaufte. Also: „Na ja“, meint Janove „The Jackal“ Kaizer über das Kaizers Orchestra, „auch unser nächstes Album wird wieder ein durchgehendes Thema haben und ich denke, man könnte unsere Alben konzeptionell nennen. Wenn man unbedingt will.“

Man will. Schließlich besteht „Maestro“, das neueste Album des Kaizers Orchestra, aus einem Songzyklus, der die Geschichte einer nicht exakt bezeichneten, aber offensichtlich psychotherapeutischen Einrichtung erzählt, in der Kriegsveteranen einsitzen, die sich in einen zunehmend eskalierenden Kleinkrieg mit dem Leiter Dieter Meyer verstricken. Nicht das erste Album-Konzept der Band aus dem norwegischen Bergen: Das Debüt berichtete von einem Krieg zwischen zwei Mafia-Banden, das zweite, „Evig Pint“, von einer lebenslangen Feindschaft zwischen zwei Menschen.

Doch all das will auf den ersten Blick nicht so recht zusammenpassen. Ist das Kaizers Orchestra doch vor allem durch seine wahnwitzigen, aufregenden, ausufernden, komischen Auftritte bekannt geworden. Das war auch Absicht: „Unser Ziel ist es vor allem“, sagt Janove, der unter seinem bürgerlichen Namen Ottesen unlängst auch eine eher biedere Singer/Songwriter-Soloplatte veröffentlichte, „die beste Live-Band des Planeten zu werden.“

Auf dem Weg zu diesem Ziel, das darf man ruhig mal sagen, ist das Sextett in den fünf Jahren seit seiner Gründung ein gutes Stück vorangekommen. Tatsächlich fällt einem so schnell auf Anhieb keine Band ein, die Grunge denkt, Folk spielt, Walzer dreht, Tango dreht, Ölfässer und Radkappen bearbeitet, Tom Waits liebt, auf dem Balkan tanzt, Anzug mit Gasmaske auf der Bühne trägt und zu allem Überfluss auch noch Norwegisch singt. „Wir sind ein gutes Beispiel dafür, dass musikalisch alles möglich ist, dass alles erlaubt ist“, predigt der gelernte Musiklehrer Ottesen noch einmal die Grundannahmen der Postmoderne, „wenn man ein Bild malt, darf man doch auch alle Farben benutzen, die Maler vor dir benutzt haben. Wir mischen die Farben nur auf andere Weise.“

Mit dieser Mischung wird problemlos das Publikum eines jeden mittelgroßen Clubs zwischen Nordkap und Mittelmeer in einen schwitzenden, zuckenden Haufen Leiber verwandelt. 150 Termine spielt das Kaizers Orchestra im Jahr, und vor allem seine Live-Qualitäten haben dazu geführt, dass es auch zur kommerziell erfolgreichsten norwegischen Band geworden ist. 150.000 verkaufte Tonträger allein in ihrem Heimatland – obwohl man nur in einem Radiosender und das auch nur selten gespielt wird – sind für Ottesen ein „spektakulärer“ Erfolg. Diesen gedenkt man demnächst im restlichen Europa zu wiederholen. Warum das gelingen sollte? „Wir sind einzigartig“, sagt Ottesen.

Wozu, wenn alles bereits so prima ist, dann aber diese Konzepthuberei, diese Intellektualisierung? Die Erklärung ist simpel: „Damit wir uns nicht langweilen“, erläutert Geir „Hellraizer“ Kaizer, der Gitarre spielt, eigentlich Zahl mit Nachnamen heißt, mit Ottesen zusammen die Songs schreibt und entrüstet den Gedanken zurückweist, die beiden Komponisten hätten womöglich persönliche Erfahrungen mit entsprechenden Institutionen in „Maestro“ verarbeitet. „George Lucas fragt ja auch niemand“, merkt Geir Zahl vollkommen zu Recht an, „warum er ‚Star Wars‘ geschrieben hat, obwohl er niemals im Weltraum war.“ Auch das Kaizers Orchestra, so die offizielle Lesart, überhöht doch nur alltägliche Konflikte und überführt sie in ein fiktives Szenario. Das auch bitter nötig ist, denn, so Zahl, „die Musik ist so überbordend, so lebendig, dass das alltägliche Leben im Vergleich schal wirken würde“.

Dieses Leben ist vor allem in Norwegen ausgesprochen schal. Oder, in den Worten des Gitarristen: „Sicher, fade und langweilig.“ Schon deshalb gebe es keine Veranlassung, wütende oder gar politische Songs zu schreiben. Ein jeder Versuch, ihre Konzeptalben in eine solche Richtung zu interpretieren, ist also vergebliche Müh. Nur auf eine Interpretation lässt man sich ein. Womöglich, ja, so könnte es sein, ist die Musik des Kaizers Orchestra ja so ausgelassen, so überdreht, weil das Land, aus dem sie stammt, so eintönig ist. „Wir leisten unseren Beitrag“, grinst Geir Zahl, „dass Norwegen ein bisschen aufregender wird.“ Schlussendlich ging es ja auch dem guten alten Doktor Faustus nur um ein bisschen Spaß.

THOMAS WINKLER

Kaizers Orchestra: „Maestro“ (Universal)