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Archiv-Artikel

Alles unter einem Dach

Nur die besten Absichten scheinen die parteilose Politikerin Christina Weiss zu leiten – aber nur selten wird Gutes daraus. Eine Bilanz der Amtszeit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien

Allzu willfährig warf sich Weiss für Friedrich Christian Flick in die Bresche

von BRIGITTE WERNEBURG

Wenige Wochen vor der Eröffnung der Kunstbiennale von Venedig gab sie einen kleinen Empfang im Kanzleramt. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien verabschiedete Tino Sehgal und Thomas Scheibitz in die Lagunenstadt. Diese Zeremonie war neu. Biennale-Kommissar Julian Heynen beteuerte im Vorfeld stets, er habe seine Künstler nicht eingeladen, damit sie die Nation vertreten. Es half ihm nichts. Christina Weiss nahm den Deutschen Pavillon sehr wohl in die repräsentative Pflicht. Für die Nation. Vor allem aber für den Hausherrn und seine Mannschaft, eine Regierung, der die Kultur, vor allem aber die bildende Kunst so ersichtlich ein Anliegen sind; und schließlich für das Amt der Kulturbeauftragten selbst. Ein kurzes Gespräch mit einem Vertreter des Auswärtigen Amtes ließ vermuten, der letzte Aspekt sei die wesentliche Triebfeder der Einladung gewesen. Waren die anwesenden Gäste wie die Künstler also nur Statisten für ein Powerplay zwischen der Staatsministerin, die die Biennale gerne unter ihren Fittichen sähe, und dem für sie noch immer zuständigen Auswärtigen Amt?

Die Abendveranstaltung darf als symptomatisch gelten. Von vorn herein eng zugeschnitten, da Kultur in Deutschland Ländersache ist, sind die Zuständigkeiten des 1998 von Gerhard Schröder neu geschaffenen Amtes des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Kultur und der Medien bis heute nicht geklärt. Doch nicht nur diese Not, auch ein beachtlicher Ehrgeiz drängt die Amtsinhaberin, hier Fakten zu schaffen und ihr Feld größtmöglich zu arrondieren. Glanz und Gloria der Eventkultur sind das eine Instrument, Bundeskultur dort auftreten zu lassen, wo bislang städtisches Gewurschtel, föderaler Eigensinn oder ministerielles Hoheitsgebaren herrschten. Neu organisieren und neu reklamieren das andere. Der eigentliche Gegenstand der kulturellen Pflege und Sorge scheint nur noch der Repräsentation sowie seiner Verwaltungs- und Organisationsbedürftigkeit wegen ins Blickfeld zu geraten. Sobald eine Kulturveranstaltung von Christina Weiss in Obhut genommen wird, fragt man sich daher, welche weitere Absicht ihr Engagement in diesem Fall leitet.

Nur die besten Absichten schienen es bei ihrem Eintreten für ein „Europäisches Netzwerk Zwangsmigration und Vertreibungen“ zu sein. Es sollte die Arbeit bereits bestehender Gedenkstätten und Forschungseinrichtungen in den Ländern Deutschland, Polen, Österreich, Tschechien, Slowakei und Ungarn besser verknüpfen und koordinieren und damit helfen, die nationalen Verengungen des Blickfelds zu überwinden. In erster Linie allerdings war es als Gegenentwurf zu dem von Erika Steinbach und Peter Glotz geplanten „Zentrum gegen Vertreibung“ in Berlin gedacht, als flankierende Maßnahme zur Absicht der Bundesregierung, das Zentrum zu verhindern, das Deutschland von osteuropäischer Seite nur Ärger bringt.

Man kann, je nach Standpunkt, auch diese weitere Absicht als eine gute betrachten. Doch sie ist in einem solchen Maße politisch motiviert, dass das kulturelle Anliegen – tatsächlich kann ein solches Netzwerk erst einmal nur Forschungsförderung sein, deren gesellschaftspolitische Auswirkungen nur langfristig zum Tragen kommen – sofort ins Hintertreffen geriet. Zunächst war es wieder einmal das Auswärtige Amt, das seine Belange tangiert sah und beim Bundeskanzleramt dagegen protestierte, dass die Kulturministerin Außenpolitik mache und womöglich völkerrechtliche Verpflichtungen für Deutschland eingehe. Der Vorwurf ist zu hoch gegriffen, schaut man sich das Projekt genau an. In seiner nur noch von Polen, Ungarn, der Slowakei und Deutschland unterzeichneten, konturlos abgeschwächten Form eines „Netzwerks Erinnerung und Solidarität“ hat es alle Federn gelassen, die ihm staatlichen Aplomb geben sollten. Auf der Ebene dieses Vorwurfs allerdings kann eine neue Regierung das doch interessante Projekt ebenso umstandslos wie restlos kippen. Angela Merkel, das hat sie immer wieder betont, will Erika Steinbachs Projekt realisiert sehen.

Ähnlich leicht macht Christina Weiss einer künftigen von der CDU/CSU geführten Regierung die völlige Kehrtwendung auch im Fall der Gedenkstätten. In zwei Stiftungen will sie das Gedenken neu organisieren. Zum einen sollen die vier Berliner NS-Gedenkstätten (Mahnmal, Topografie des Terrors, Haus der Wannseekonferenz und Gedenkstätte Deutscher Widerstand) unter einem Dach zusammengefasst werden. Zum anderen ist mit der Verfügung des Kanzlers, die Stasi-Unterlagenbehörde unterstehe nicht länger dem Innenministerium, sondern dem Hause Weiss, eine erste Grundlage für die weitere Bundesstiftung zur Aufarbeitung der Geschichte der SBZ/DDR geschaffen. Es gibt viele gute, in der Sache begründete Argumente für eine solche Stiftungsidee. Allein die weitere Absicht, die hinter diesen Argumenten steht, spricht dagegen. Christina Weiss' Linie heißt: Wenn der Bund zahlt, muss er auch Einfluss nehmen dürfen. Organisatorische Vielfalt, die sicher oft nur ein Durcheinander ist, wird systematisiert. Der CDU-Abgeordnete Günter Nooke wird sich über das bereitete Feld, eine Art Bundesagentur für Erinnerung, freuen. Auch er will ein integrales Konzept und eine zentrale finanzielle Verantwortung, freilich für eine Gedenkkultur, die die Opfer der beiden deutschen Diktaturen, die Opfer von Krieg und Vertreibung und die Opfer der alliierten Luftangriffe ins Zentrum stellt. Andere Opfer kennt sein integrales Konzept nicht.

Es scheint, dass ausgerechnet die parteilose Staatsministerin in seltsam sozialdemokratischer Art allergisch auf die Eigenständigkeit von Institutionen reagiert. Stets braucht es ein Dach darüber, ein politisch geführtes Gremium, das die Leitung des jeweiligen Hauses kontrolliert. Die Entmachtung Adrienne Göhlers als stimmberechtigte Kuratorin des wegen der RAF-Ausstellung in die Kritik geratenen Hauptstadtkulturfonds ist darin wenigstens so sehr begründet wie in Weiss' Empfänglichkeit für Weisungen von oben.

Kultur freilich lebt von der Eigenständigkeit ihrer Institutionen und von der Eigenwilligkeit der leitenden Personen. Wer hin und wieder an die Endlichkeit der eigenen Konzepte bei einer nächsten Wahl denkt, wird gerade im Bereich der Kultur die Eigenständigkeit der Institution befördern – damit sie den Zumutungen von Seiten der Politik widerstehen, vielleicht auch nur ausweichen können.

Der stete Triumph der ironisch in ihr Gegenteil verkehrten weiteren Absichten von Christina Weiss über ihre guten Absichten liegt allerdings nicht nur in ihrer Amtsführung begründet. Ihr bleibt, nachdem ihre Vorgänger, zunächst Michael Naumann und dann Julian Nida-Rümelin, die ersten großen Schritte beim Neuorganisieren und Neureklamieren gemacht haben, nur die Arbeit am Detail. Glänzten die beiden mit dem Einrichten des Hauptstadtkulturfonds und der Bundeskulturstiftung und erwarben sie sich Meriten bei der hoheitlichen Rettung hauptstädtischer Leuchttürme wie des Jüdischen Museums, des Martin-Gropius-Baus, des Hauses der Kulturen der Welt, der Berliner Festspiele und der Akademie der Künste, musste Christina Weiss dem Hauptstadtkulturfonds gleich wieder eine Million Euro streitig machen. Kaum griff das Förderinstrument für die Berliner Szene, wurde ihm das Geld zugunsten kulturell-repräsentativer Aufgaben des Bundes im Martin-Gropius-Bau, der Akademie der Künste und dem Schillerjahr entzogen. Muss es verwundern, wenn viele Beobachter dies nicht nur als Egoismus in eigener Sache verstanden, sondern als Politik der Sorte „Wer zahlt, schafft an“, als finanzbewehrte Kritik am Programm des Hauptstadtkulturfonds, als klammheimliche Zensur?

Die Bundesbeauftragte ist empfänglich für Weisungen von oben

Dass ihre Anstrengungen zu eher zweifelhaften Ergebnissen führen, liegt aber auch an einer vielleicht naiven Willfährigkeit von Christina Weiss dem Kanzler gegenüber, der sie ins Amt geholt hat. Die Kanzlerverbindung reicht weiter zurück als ihr Amtsantritt in Berlin. Die 1953 in St. Ingbert geborene, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Kunstkritikerin belohnte etwa in ihrer Funktion als Kultursenatorin im SPD-geführten Hamburger Senat Tom Stromberg mit der Intendanz des Deutschen Schauspielhauses. Stromberg hatte zuvor Gerhard Schröders Expo 2000 in Hannover mit einem recht beliebigen Kulturprogramm versorgt.

Als Staatsministerin sprang sie dann für den Kanzler-Freund Friedrich Christian Flick in die Bresche. Als Vorsitzende im Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sorgte sie maßgeblich dafür, dass Flick seine Sammlung von Gegenwartskunst prestige- und wertsteigernd an die Staatlichen Museen zu Berlin verleihen konnte. Die Absicht des Enkels des Rüstungsmagnaten und verurteilten Kriegsverbrechers Friedrich Flick, damit dem Familiennamen neuen Glanz zu verleihen, bei gleichzeitiger Weigerung, die Zwangsarbeiter seines Großvater zu entschädigen, sorgte für Streit.

Mehr Sorge für die Institution Museum, statt der Hoffnung auf ein kulturelles Großereignis, hätte folgerichtig mehr Beratung des Sammlers wie des Kanzlers durch die Staatsministerin bedeutet. Aber auch in diesem Fall ließ die ironische Wendung nicht auf sich warten: Dem New Yorker Kunsthandel gelang es Friedrich Christian Flick gewissermaßen in fünf Minuten klar zu machen, was in Berlin für undenkbar galt: Dass er von seiner Position abzurücken und in den Stiftungsfonds der deutschen Industrie einzuzahlen habe, wolle er außerhalb Berlins mit seiner Sammlung Furore machen.

Für Furore zu sorgen, außerhalb Berlins, das zweifellos zu den Arrondisierungsgewinnen der rot-grünen Bundeskulturpolitik gehört, ist die Aufgabe jedes zukünftigen Staatsministers für Kultur. Der mag dann vielleicht sogar Bundeskulturminister sein, und im Falle einer großen Koalition, wer weiß, noch immer Christina Weiss heißen. Dann gäbe es für sie viel Raum für weitere, freilich als böse verschrieene Absichten, denn sie müsste die Auseinandersetzung um die Kulturhoheit der Länder führen. In dieser Auseinandersetzung erst entscheidet sich, ob es so etwas wie Bundeskulturpolitik überhaupt gibt. Bundeshauptstadtkulturpolitik und die Einrichtung von Stiftungsdächern über Opern, Gedenkstätten und anderen Institutionen rechtfertigen den Namen nicht.