: Fahrlässige Papstdiplomatie
LIBANON Benedikt XVI. hat den Christen bei seinem Besuch in Beirut eher geschadet als geholfen. Denn er verkennt die politische Situation
■ ist Politikwissenschaftler, freier Journalist. Er wurde im Libanon geboren. Zuletzt schrieb er an dieser Stelle, wie sich die Hisbollah durch ihre Solidarität mit Assad ihr eigenes Grab schaufelt: „Es hat sich ausgesiegt.“
Zuerst die frohe Botschaft: Der Papst hielt doch an seinem Libanon-Besuch fest und ist wieder heil in die Ewige Stadt heimgekehrt. Er ließ sich weder von den gegenwärtigen Unruhen in der Region infolge des islamfeindlichen Mohammed-Films noch von der instabilen politischen Lage im Zedernland oder dem Bürgerkrieg in Syrien abschrecken. Es war beeindruckend zu sehen, wie das Haupt der katholischen Kirche im Zeitalter des aufsteigenden Islamismus in einem arabischen Land ungestört eine Messe vor 350.000 Menschen abhielt. Von einer generellen Christenverfolgung in der arabischen Welt kann also nicht die Rede sein.
Benehmt euch etwas besser!
Natürlich darf man vom Papst keine wundersame Lösungen der akuten Konflikte im Nahen Osten erwarten. Aber es wäre schon schön, er würde anlässlich eines solchen Besuches seine Stimme erheben und etwa den Stopp von Assads Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung verlangen. Zum Vergleich: Sein Vorgänger Johannes Paul II. hatte den Irakkrieg öffentlich abgelehnt und Partei ergriffen für die Opfer von Gewalt und Unterdrückung. Die lauen Forderungen von Benedikt XVI. indessen, die Gewalt in Syrien zu beenden und die Waffenexporte einzustellen, machen keinen Unterschied zwischen Regime und Zivilbevölkerung. Die ärgerliche Botschaft lautet: Benehmt euch alle etwas besser, dann wird das schon. Abgesehen davon: Schützt die Christen!
Es ist verständlich, dass für den Papst die Interessen der arabischen und orientalischen Christen an erster Stelle stehen. Genauso nachvollziehbar ist es, dass er sich für ihren Schutz ausspricht in einer Region, die immerhin die historische Wiege der Christen darstellt. Die Verfolgung der irakischen Christen und ihr Exodus nach dem zweiten Irakkrieg und der Ausweitung des Dschihad geben auch genügend Anlass dafür.
Der Papst macht aber mindestens zwei große Fehler. Er schürt die Ängste und er adressiert die Christen fahrlässig als bloße Minderheit im Nahen Osten. Erfahrungsgemäß ist Angst kein guter Ratgeber. Wichtiger aber noch: Die Probleme der arabischen Christen können nur in ihren Staaten und Gesellschaften gelöst werden. Die Christen bilden schon seit den Anfängen des Christentums einen wichtigen Bestandteil der arabischen Gesellschaften und nehmen eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der islamisch-arabischen Zivilisation im Mittelalter und bei der arabischen Renaissance seit dem 19. Jahrhundert ein. Sie allein als Minorität zu betrachten und für sie von der islamischen Mehrheit nur Toleranz zu verlangen, ist Wasser auf den Mühlen der Islamisten und der Diktatoren. Gerade der Papst will ja, dass die arabischen Christen prinzipiell – in guten wie in schlechten Zeiten – im Nahen Osten leben können.
Christen sind nicht homogen
Darüber hinaus bilden die arabischen Christen weder konfessionell noch politisch eine homogene Gruppe. Unter ihnen, wie unter der muslimischen Mehrheit, gibt es Anhänger der Diktaturen, apolitische Menschen und demokratische Aktivisten. Die Forderung nach Verbleib der Christen in Syrien, ohne dass sie sich aktiv am politischen Leben beteiligen, trägt dazu bei, sie als Schutzbefohlene oder als Fremdkörper im eigenen Land zu stilisieren.
Die Regime im Irak, Ägypten und Syrien schürten die Furcht der Christen vor den Islamisten, um sie politisch zu neutralisieren und um vor aller Welt als Verteidiger des weltlichen Staates posieren zu können. Der syrischen Diktatur ist es bislang gelungen, die Minoritäten – vor allem die Drusen, Schiiten, Alewiten und Christen – zu einem großen Teil vom syrischen Aufstand fernzuhalten und sich ihre Loyalität zu sichern. Gezielt befeuerten sie die Angst, nach Assad würden die sunnitischen Islamisten die Macht übernehmen und die ehemals privilegierten Minderheiten abstrafen.
Es ist kein Geheimnis, dass breite Teile der syrischen und libanesischen christlichen Geistlichen für die Diktatur Partei ergriffen haben. Der Papst sollte dazu beigetragen, dass sie ihre Haltung ändern und nicht mehr den Krieg des syrischen Regimes gegen die syrische Bevölkerung unterstützen. Dies verlangte nicht nur der berühmte syrische Publizist und Oppositionelle Michel Kilo eindringlich vom Benedikt XVI. Aber auch er blieb ungehört.
Dass die syrische Krise auch die Libanesen tief spaltet und darüber hinaus ihren nationalen Zusammenhalt ernsthaft bedroht, hat der Papst gewiss schon vor seinen Begegnungen mit den Vertretern der libanesischen politischen Klasse erfahren. Aber was macht er? Er lobt den Libanon als Modell für das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen. Das ist schwer nachvollziehbar. Denn die Teilung der politischen Macht zwischen den Vertretern von 18 Religionsgemeinschaften hat bisher nur zu blutigen Bürgerkriegen geführt, der letzte dauerte von 1975 bis 1990.
Libanon wackelt bedenklich
Natürlich wird der Libanon als einziger arabischer Staat von einem maronitischen christlichen Präsidenten regiert. Dies ist jedoch im Rahmen einer vorgeschriebenen Machtverteilung zwischen den Konfessionen festgeschrieben, also nicht das Ergebnis einer demokratischen Wahl.
Die zur Schau gestellte Harmonie der libanesischen politischen Klasse während des Papstbesuches darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land aufgrund des syrischen Bürgerkriegs, des Palästinaproblems und des iranischen Atomkonflikts und der Bewaffnung der Hisbollah vor einer Zerreißprobe steht.
Die zunehmende Polarisierung zwischen der proiranischen schiitischen Hisbollah und dem prosaudischen sunnitischen Hariris-Klan tragen dazu bei, die christlichen Parteien weiterhin in Satelliten beider Seiten zu verwandeln und den Libanon in einen neuen Bürgerkrieg zu treiben. Der Libanon ist also alles andere als stabil. Und die Gefahr, dass dieses Land auseinanderbricht, wird so lange bestehen, solange die Libanesen nicht ihr politisches System reformieren und Religion und Politik voneinander trennen. Und die Christen?
Ihre Sicherheit kann nur durch weltliche und demokratische Staaten garantiert werden.
ABDEL MOTTALEB EL HUSSEINI