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Perspektive: Erster Arbeitsmarkt

Wer in den Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeitet, kann sich dort für eine reguläre Beschäftigung qualifizieren

Erst weiterbilden und dann in einen richtigen Job Foto: Amelie-Benoist/BSIP/mauritius images

Von Kristina Simons

Durchlässigkeit ist für die Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung (BWB) ein zentrales Anliegen. Ein Wechsel ist nicht nur innerhalb der verschiedenen Bildungs- und Arbeitsbereiche möglich, sondern auch auf den Ersten Arbeitsmarkt. Die BWB hat in Berlin 12 Standorte und bietet über 20 Berufsbilder in Industrie und Produktion sowie im Dienstleistungsbereich an. „Unser Fokus liegt dabei auf Arbeit und Bildung unabhängig von der Art der Behinderung“, erläutert Edda Bindewald-Wolff, die den Bereich Berufliche Bildung bei der BWB leitet. Hier werden die neuen Mitarbeiter zunächst zwei Jahre lang theoretisch und praktisch in ihrem gewünschten Berufsfeld qualifiziert.

Es gibt drei mögliche Bildungswege: den internen, bei dem die Ausbildung in den Räumen der Werkstätten stattfindet. Den integrierten mit realen Arbeitsaufträgen in den Werkstätten sowie einem wöchentlichen Berufsschultag. Und schließlich den externen Bildungsweg für Mitarbeiter, die direkt in Unternehmen des Ersten Arbeitsmarktes qualifiziert werden können und ebenfalls wöchentlich zur Berufsschule gehen. Ein Jobcoach begleitet sie dabei.

„Wichtig ist uns, dass alle Bereiche durchlässig gestaltet sind, ein Wechsel zwischen ihnen in jede Richtung jederzeit möglich ist“, betont Bindewald-Wolff. Deshalb findet halbjährlich eine sogenannte Berufs­wegekonferenz statt, bei der ein individueller beruflicher Entwicklungsplan erstellt wird. „Wer im internen Beschäftigungs- und Förderbereich (BFB) anfängt, kann unter Umständen schon bald in den integrierten oder sogar den externen Bildungsbereich kommen.“

Diese Durchlässigkeit gilt auch für sämtliche Arbeitsangebote der BWB. So ist zum Beispiel ein Wechsel vom BFB in die Werkstatt, innerhalb der Werkstätten oder auf einen Arbeitsplatz in einem Unternehmen der Berliner Wirtschaft möglich. „Letzteres ist für diejenigen interessant, die zwar gerne auf den Allgemeinen Arbeitsmarkt wollen, aber noch nicht komplett auf die Unterstützungsleistungen der Werkstatt verzichten möchten.“

Den Weg auf den regulären Arbeitsmarkt will auch das vom Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderte Projekt „BWB-Berufsschule“ ebnen. Daran teilnehmen können BWB-Mitarbeiter aus dem Berufsbildungsbereich, die sich noch intensiver weiterbilden wollen und die sich eine Tätigkeit bei einem Unternehmen des Ersten Arbeitsmarktes vorstellen können. So wie Jasmin Borg*, die bereits eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert, die Fachhochschulreife erworben, bei der Deutschen Welle gejobbt und sich für ein berufsbegleitendes Studium beworben hatte. Dann, mit gerade mal 23 Jahren, wurde bei ihr ein Hirntumor entdeckt. Nach mehreren Operationen und langen Krankenhausaufenthalten wechselte sie zur BWB.

„In der Werkstatt habe ich mich etwas unterfordert gefühlt. Durch meine frühere Ausbildung habe ich ja schon viele Vorkenntnisse im kaufmännischen Bereich“, berichtet Borg. Vom ESF-Projekt war sie deshalb sofort begeistert. „Ich will per­spektivisch wieder auf den Ersten Arbeitsmarkt und auf eigenen Beinen stehen“, sagt sie selbstbewusst. Das auf insgesamt zwei Jahre angelegte Projekt umfasst vier Bereiche: den Berufsschultag, den Workshop Berufliche Entwicklung, Einzel- und Gruppencoachings sowie ein externes Praktikum.

Einmal in der Woche ist Berufsschultag. 20 verschiedene Kurse werden pro Woche angeboten, fünf davon muss jeder Teilnehmer besuchen, darunter allgemeinbildende Kurse wie Deutsch, Rechnen oder Geschichte. In anderen Unterrichtseinheiten werden soziale Kompetenzen vermittelt, etwa Bewerbungstraining. Der Workshop zur Beruflichen Entwicklung findet im zweiwöchentlichen Rhythmus statt, insgesamt 14-mal. „Wir erstellen etwa gemeinsam Bewerbungsmappen, üben Vorstellungsgespräche, unternehmen eine Exkursion zu einer Firma des Ersten Arbeitsmarktes und tauschen Erfahrungen aus“, erläutert Borg.

Auch ein Infoabend für Teilnehmer sowie Eltern und juristische Betreuer gehört zum Workshop. Beim Einzel- und Gruppencoaching fährt ein Mitarbeiter des BWB-Berufsbildungsbereichs zu den Teilnehmern an die jeweiligen Standorte. Ein zwei- bis vierwöchiges externes Praktikum bei einem Unternehmen bildet den vierten Bereich des ESF-Projekts. Darunter sind mehrere Edeka-Filialen, Kfz-Betriebe, Senioreneinrichtungen, Kitas, eine Tischlerei und ein Großhandel für Malerbetriebe.

Die Projektteilnehmer ­gehen entweder einzeln in einen Betrieb und werden dann von Jobcoaches des Integrationsmanagements der BWB (IMB) begleitet. Oder sie absolvieren das Praktikum gemeinsam als Betriebsintegrierte Gruppe (BIG), begleitet von einem BWB-Gruppenleiter. Zweimal kann das Praktikum verlängert werden. Danach besteht die Möglichkeit eines ausgelagerten Arbeitsplatzes, bei dem die Mitarbeiter bei dem Unternehmen tätig sind, aber nach wie vor von BWB-Stammmitarbeitern betreut werden. Langfristiges Ziel ist eine sozialversicherungspflichtige Stelle auf dem Ersten Arbeitsmarkt.

Bei der Hausmesse am 14. März öffnet die BWB für alle Interessierten ihre Türen: BWB Nord, Westhafenstr. 4, 13353 Berlin

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