: „Ein solches Experiment wäre doch politischer Selbstmord“
Hans Josef Kampe, Vorstand der Drogenberatung in Viersen, über den Vorschlag, Coffeeshops auch am Niederrhein zu dulden und über die Folgen der holländischen Drogenpolitik
taz: Herr Kampe, Sie haben der taz vor vier Jahren gesagt, der Ansatz der Stadt Venlo, repressiv gegen den illegalen Drogenhandel vorzugehen und gleichzeitig geduldete Coffeeshops an der Grenze zu eröffnen, sei eine einmalige Chance, die Probleme mit dem Drogentourismus in den Griff zu kriegen. Hat sich diese Politik bewährt?
Hans Josef Kampe: Für Venlo auf jeden Fall. Die „verlotterten“ Stadtviertel, wie die Niederländer sagen, sind entkriminalisiert und zum Teil städtebaulich aufgewertet worden. Die illegale Verkäuferszene hat sich verunsichert zurückgezogen oder wurde verdrängt. Und die täglich bis zu 4.000 deutschen Jugendlichen, die zum Drogenkauf nach Venlo fahren, treiben sich nicht mehr so oft im Stadtzentrum herum. Die kaufen jetzt in der „Oase“ ein, nur knapp 300 Meter vom alten Zollgebäude entfernt. Und das ist keine fernöstlich anmutende, schmuddelige Drogenhöhle, sondern eher ein Supermarkt, Parkplätze und Ordner inklusive.
Venloer Christdemokraten sehen nach wie vor Probleme in der Stadt und möchten diese am liebsten exportieren. Sie empfehlen Kommunen wie Nettetal oder Viersen, wie Venlo Coffeeshops zu dulden.
Können sie ja gerne empfehlen. Aber das findet in Deutschland keinen Widerhall. Wir haben einfach die gesetzlichen Möglichkeiten nicht. Darüber hinaus lehnen, wie eine Umfrage ergab, 75 Prozent der Deutschen jegliche Freigabe von Drogen ab. Da ist es doch töricht, auch nur darüber nachzudenken, die Philosophie der Niederländer zu übernehmen. Das wäre doch politischer Selbstmord. Holland hat im Übrigen selbst ein nicht unerhebliches rechtliches Problem. Denn zwar verkaufen die geduldeten Coffeeshops maximal fünf Gramm pro Person, aber diese Läden müssen ja für tausende Konsumenten beliefert werden. Pläne, die ganze Schiene zu legalisieren, ja sogar Herstellung und Qualität zu kontrollieren, sind bislang nicht zuletzt am Widerstand aus der eigenen Bevölkerung gescheitert.
Können Sie sich in Deutschland einen Umgang mit Cannabis nach niederländischem Vorbild eigentlich vorstellen?
Nein, die Philosophie der Holländer lautet: durch eine Legalisierung von weichen Drogen die harten Drogen verhindern. Größeren Erfolg haben sie damit aber auch nicht, in Holland gibt es nicht weniger Schwerstdrogenabhängige als bei uns. Wir setzen hier im Kreis auf Aufklärung der Jugendlichen, so dass es beim harmlosen Ausprobieren bleibt. Und wir sind gar nicht so glücklich darüber, dass sich der Umgang mit Drogen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft so freizügig entwickelt.
Aber Sie können doch nicht leugnen, dass der Konsum weicher Drogen schlicht eine Tatsache ist und nicht unbedingt gleich ein Problem?
Sicher, aber wir haben in Deutschland nun einmal legale und illegale Drogen. Und im Moment denkt doch niemand daran, so genannte legale Drogen wie etwa Zigaretten oder Alkohol unter Strafe zu stellen. Es ist ja schon ein gewaltiger Schritt, über die Legalität legaler Drogen wie Nikotin überhaupt nachzudenken. Was nun den Umgang mit dem Cannabiskonsum betrifft, so raten wir – obwohl wir keinesfalls Anhänger der holländischen Linie sind – Eltern, deren minderjährige Kinder in Venlo oder beim „Grenzübertritt“ mit Drogen erwischt wurden, in aller Regel Contenance zu bewahren und nicht gleich einen Riesenterz zu machen. Auch in Deutschland hat sich im Übrigen bei der strafrechtlichen Verfolgung dieser Delikte ja schon einiges geändert. Die Polizei etwa hier im Kreis ist längst nicht mehr so wild hinter diesen kleinen Verbrauchern her. Ihr Hauptaugenmerk richtet sich auf die Dealer.
Sie haben gesagt, man müsste nur mal die A 61 am alten Grenzübergang eine halbe Stunde dichtmachen, und schon würden sich deutsche Jugendliche überlegen, ob sie noch einmal zum Drogenkauf nach Venlo fahren wollen.
So ist das! Die Kids hier im Kreis glauben doch, Venlo sei ein Mekka für Cannabisfans, da kannst du kaufen, rauchen und die Welt ist super! Wir in Viersen fahren die Strategie einer Kombination von Aufklärung, Repression und Entmutigung. Und das sage ich auch den Niederländern immer wieder: Ihr müsst den Deutschen klar machen, dass das Kaufen weicher Drogen auch in Holland rechtlich problematisch ist. Ihr müsst es ihnen unbequem machen. INTERVIEW: HENK RAIJER