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Archiv-Artikel

Die Wohlstandsidylle gibt sich konservativ

taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Portrait. Wer kämpft um die Mandate? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Rheinisch-Bergischer Kreis

Rheinisch-Bergischer Kreis?

Der Wahlkreis 101, östlich von Köln im schönen Bergischen Land gelegen, ist ein beliebtes Ausflugsziel für stadtmüde Kölner oder Leverkusener. Kein Wunder: Die Gegend bietet viel Natur und überall gibt‘s leckere Bergische Waffeln (mit heißen Kirschen, Vanilleeis und Schlagsahne). Hier lässt es sich leben – wenn man genug Geld hat. Denn die Landflucht der Großstädter hat die Immobilienpreise in den Gemeinden Bergisch Gladbach, Burscheid, Kürten, Leichlingen, Odenthal, Overath, Rösrath und Wermelskirchen ordentlich nach oben getrieben. Vor allem in Bergisch Gladbach mit seinen schicken Villenvierteln sitzt das Geld: Die 100.000 Einwohner der Stadt haben im Schnitt das bundesweit zweithöchste Einkommen – nach den Münchnern.

Wer verteidigt den Wahlkreis?

Wolfgang Bosbach, Jahrgang 1952. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende bekam beim letzten Mal 44,8 Prozent der Erststimmen und sitzt seit 1994 im Bundestag. Dort hat sich der Rechts- und Innenexperte sogar bei den Grünen einen Ruf als „netter Kollege“ erarbeitet. Auch mit Noch-Innenminister Otto Schily versteht sich Bosbach gut – und eigentlich würde der Jurist gerne dessen Nachfolger werden, wenn Angela Merkel Kanzlerin wird. Doch da ist womöglich Günther Beckstein vor.

Wer will den Wahlkreis?

Lasse Pütz, Jahrgang 1981. Der jüngste SPD-Kandidat in NRW will Blitzkarriere machen. Erst 2001 in die SPD eingetreten und seit knapp einem Jahr Stadtrat in Bergisch Gladbach, träumt der Jurastudent jetzt schon vom Bundestag. Dafür muss er allerdings noch einige Klinken putzen gehen: Wahlkreis 101 ist traditionell in konservativer Hand und Platz 60 auf der SPD-Landesliste keinen Pfifferling wert. Aber immerhin kann der Youngster schon auf eine Großtat verweisen: Als Mitglied der Bürgerinitiative gegen Cross-Border-Leasing gehört er zu jenen Leuten, die 2003 in Bergisch Gladbach einen Bürgerentscheid initiierten und so verhinderten, dass die Stadt ihre Kläranlage an einen US-Investor vertickt.

Der große Außenseiter?

Harald Wolfert (Grüne). Der gebürtige Kölner lebt als Möbelrestaurator in Burscheid und hat schon bei der letzten Landtagswahl für den Wahlkreis kandidiert. Da er jedoch nicht über die Reserveliste abgesichert ist, wird‘s wohl auch diesmal nichts mit der Berufspolitik. Dasselbe dürfte für den 64-jährigen Hochschullehrer Bernd Koglin gelten, der nur auf Platz 20 der FDP-Landesliste steht. Auch der Automobil-Kaufmann Claudius Caßemeyer von der Linkspartei wird seinen Beruf weiter ausüben können – er hat keinen Landeslistenplatz bekommen.

Die taz-Prognose?

Bosbach macht‘s. In der Wohlstandsidylle Rheinisch-Bergischer Kreis sieht die Mehrheit keinen Grund, sich von ihrem gepflegten Konservatismus zu verabschieden. Lasse und die anderen müssen dagegen zu Hause bleiben. SUSANNE GANNOTT