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„Die Leute sind freier“

PROTEST Islamwissenschaftler Guido Steinberg über den Mohammed-Schmähfilm, Meinungsfreiheit und den Populismus von Hisbollah und Salafisten

Guido Steinberg

■ ist Islamwissenschaftler und arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik. 2002–2005 war er Referent für Internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt.

INTERVIEW RAPHAEL SARTORIUS

taz: Herr Steinberg, „Pro Deutschland“ will den Mohammed-Schmähfilm „The Innocence of Muslims“ öffentlich zeigen. Drohen der Bundesrepublik gewaltsame Unruhen wie in Teilen der arabischen Welt?

Guido Steinberg: Nein. Das Ausmaß von möglichen Demonstrationen und Zusammenstößen hier in Deutschland wird in jedem Fall weit unterhalb dessen liegen, was wir beispielsweise in Tunesien, in Ägypten oder im Sudan gesehen haben. Die Unruhen sind besonders dort aus dem Ruder gelaufen, wo die Staaten ohnehin geschwächt sind. Ich gehe davon aus, dass die Polizei vorbereitet ist. Man hat das in Berlin vor einigen Wochen gesehen, als „Pro Deutschland“ vor salafistischen Moscheen aufgetreten ist. Da trafen rund 40 „Pro Deutschland“-Aktivisten auf mehrere hundert Polizisten.

Sollte der Film verboten werden?

Ich glaube, man darf nicht den Youtube- oder den Internetzugang sperren. Man sollte aber alles rechtlich Mögliche versuchen, um die öffentliche Zurschaustellung zu verhindern.

Das Satiremagazin Charlie Hebdo hat Mohammed-Karikaturen veröffentlicht. Wie beurteilen Sie das?

Prinzipiell ist es eine Aufgabe von Satire, Grenzen gegebenenfalls auch mal zu überschreiten. Selbst wenn es sich dabei um schlechte Karikaturen handelt, wie damals bei fast allen dänischen Mohammed-Karikaturen, ist das ein schützenswerter Teil der Meinungsfreiheit. Muslime hierzulande und auch anderswo müssen schlicht akzeptieren, dass das ein großer Teil der Gesellschaft so sieht. Bei dem Mohammed-Film handelt es sich jedoch nicht um Satire, sondern um eine plumpe Provokation durch Beleidigung. Das ist nicht schützenswert.

Warum führt der Film zu solchen Protesten?

Es ist nicht der Film, der zu Protesten führt. Er ist Anlass, nicht Ursache. Ursache ist eine weit verbreitete Wahrnehmung, dass man es mit einem kulturell-religiösen Angriff auf den Islam zu tun habe, der seitens der USA und der Europäer geführt wird. Diese Grundstimmung, die seit mehreren Jahrzehnten vorhanden ist, wird von extremistischen Akteuren genutzt. Man hat das gut in Ägypten beobachten können, wo es vor allem salafistische Gruppen und Parteien waren, die versucht haben, sich an die Spitze der Proteste zu stellen. Die haben dort oft einen Stellenwert wie in Europa die Rechtspopulisten. Sie sind nicht zu unterschätzen, man sollte sie aber auch nicht für repräsentativ halten.

Die Mehrheit bleibt also gelassen?

Man muss zwei Dinge unterscheiden. Es gibt zum einen die gewalttätigen Demonstranten, angeführt von den Salafisten. Das ist eine kleine Minderheit von – in allen Ländern, über die wir reden – einigen tausend Personen. Darüber hinaus gehen viele friedlich auf die Straße oder protestieren vielleicht auch nur im stillen Kämmerlein. Das sind sehr viel mehr Menschen, und die müssen wir ernst nehmen, weil es dort ein weit verbreitetes Unverständnis gegenüber unseren Formen der Meinungsfreiheit gibt.

Warum fordert Hassan Nasrallah, der Anführer der Hisbollah, die USA auf, solche Filme zu verbieten?

Das ist eine Forderung, die er mit dem nichtextremistischen Spektrum teilt. Die Hisbollah macht das nicht, weil sie auf die USA Einfluss nehmen möchte. Sie hat sich des Themas angenommen, weil sie weiß, dass sie damit in einer für sie schwierigen Situation Unterstützung generieren kann.

Warum wird der Westen für den Film in Sippenhaft genommen?

Hier kommt ein längerfristiger Trend mit dem Film zusammen. Der Trend ist, dass wir es in der arabischen, aber auch in der islamischen Welt mit der Wahrnehmung eines intellektuellen Angriffs zu tun haben. Islamisten glauben, dass der Westen gezielt versucht, die religiösen und kulturellen Grundlagen der islamischen Zivilisation zu beseitigen. Das ist ein Grundmuster, das durch die Invasion des Irak, den Krieg in Afghanistan und durch die Behandlung von Terrorverdächtigen in Guantánamo und Abu Ghraib zusätzliche Überzeugungskraft gewonnen hat.

Kann man die Ereignisse mit den Konflikten wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen vergleichen?

Ja. Es gibt sehr viele Parallelen und das ist Anlass zur Sorge, weil auch der Karikaturenstreit gravierende Folgewirkungen gehabt hat. Es gab zuerst Demonstrationen über längere Zeit, und die Karikaturen sind bis heute wichtiges Mobilisierungselement. Einerseits für spontane gewalttätige Übergriffe, aber auch für terroristische Aktivitäten. Wir müssen damit rechnen, dass der Streit über diesen Film eine ähnliche Dimension annimmt. Das muss man sehr ernst nehmen. Vor allem gibt es einen sehr wichtigen Unterschied zu 2006, als gegen die Karikaturen protestiert wurde: Damals waren die autoritären Regime in der arabischen Welt weitgehend intakt, heute sind sie es nicht. Die Leute sind freier, und wir müssen damit rechnen, dass sie diese Freiheit auch für Aktivitäten nutzen, die uns nicht gefallen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Art und Weise, wie wir das sehen, ist etwas unglücklich. Hier geistert der Eindruck durch die Medien, dass in der arabischen Welt zahlreiche fanatische Muslime am Werk sind und dass dort ein Flächenbrand entsteht. Vielleicht muss man das mit dem Bild kontrastieren, das viele meiner arabischen Freunde von Deutschland haben: Die kennen vor allem die Nachrichten über die Morde der Zwickauer Zelle, über das Anzünden von Asylbewerberheimen, und sie sehen Deutschland oft vor dem Hintergrund der Angst, was ihnen als Arabern, Türken oder Afghanen hier geschehen könnte. Das ist ganz offensichtlich ein Zerrbild der deutschen Gesellschaft, genau so wie unser Bild von diesen Unruhen ein Zerrbild dessen ist, was etwa in Ägypten vor sich geht. Bei den gewalttätigen Demonstranten handelt es sich nur um ein paar tausend Mann in einer Region, in der mehrere hundert Millionen Menschen leben. Und diese verzerrten Sichtweisen prägen die Beziehungen. Das Verhältnis zwischen Europa und der Region wird also zumindest nicht unproblematischer.

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