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Archiv-Artikel

Kahlschlag statt Konzert

ORCHESTER Der letzte Tusch könnte bei den Bergischen Symphonikern bald erklingen. Bezahlt wird das Orchester von Solingen und Remscheid, doch die Städte sitzen auf Krediten. Remscheid kann sich das Millionenprojekt daher nicht mehr leisten

Die Rote Liste der Kultur

■ Die Gründe für den Kulturabbau sind vielfältig, doch sehr oft fehlt Kommunen oder Bundesländern das Geld. Ob Museen, Theater, Kinos oder Orchester noch auf der Vorwarnliste der bedrohten Kultureinrichtungen stehen oder schon akut gefährdet sind, veröffentlicht der Deutsche Kulturrat seit Juli regelmäßig in seiner Zeitschrift Politik & Kultur.

■ Mit der Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen will der Kulturrat den „schleichenden und geräuschlos vonstatten gehenden Kulturabbau in Deutschland anhand von konkreten Beispielen belegen“, sagt Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zimmermann.

■ Der Deutsche Kulturrat ist der Dachverband der deutschen Kultur-Verbände und damit das politische Sprachrohr von Lichtspielhäusern, Theatern, Museen und allen anderen Kultureinrichtungen. Er vergibt – analog zur Roten Liste bedrohter Arten – die Gefährdungskategorien 0 (geschlossen) bis 4 (Gefährdung aufgehoben/ungefährdet). Die taz stellt drei akut bedrohte Projekte vor, wobei das Sommertheater in Roßlau dieses Jahr bereits ausfiel und allenfalls im kommenden Jahr wiederbelebt werden kann. Die nächste Rote Liste erscheint in der November/Dezember-Ausgabe von Politik & Kultur. (taz)

BOCHUM taz | Mitten im Konzert war plötzlich Stille. Keinen Ton spielten die Bergischen Symphoniker mehr. Generalmusikdirektor Peter Kuhn wandte sich stattdessen ans Publikum: „So klingt es, wenn Sie kein Orchester mehr haben.“

Der Grund für den ungewöhnlichen Protest der aktuell 71 Musikerinnen und Musiker: Den Bergischen Symphonikern droht die Zerschlagung. Denn getragen wird das Orchester von den Städten Remscheid und Solingen. Und die stehen vor der Pleite: Als kleinste kreisfreie Großstadt Nordrhein-Westfalens hat das knapp 110.000 Einwohner zählende Remscheid 572 Millionen Euro allein an Kassenkrediten aufgehäuft – nur um kurzfristig zahlungsfähig zu bleiben. In Solingen ist die Lage kaum besser: Dort laufen Kassenkredite von über 480 Millionen Euro.

Mithilfe der Landesregierung will Remscheids SPD-Oberbürgermeisterin Beate Wilding aus der Schuldenspirale aussteigen. Mit fast 6 Milliarden Euro will das Kabinett von Wildings Parteifreundin Hannelore Kraft Nordrhein-Westfalens klammen Kommunen helfen. Mit Unterstützung aus Düsseldorf sollen die Haushalte schon 2016 ausgeglichen sein.

In Remscheid werden deshalb nicht nur die Gewerbe-, Grund- und Hundesteuern erhöht – es wird auch eisern gespart: Bereits Ende Juni legte Wildings Verwaltung dem Stadtrat einen Beschluss vor, der das Aus für die in Form einer GmbH organisierten Symphoniker besiegeln sollte: „Wir haben dem Rat die Beendigung der Gesellschaft vorgeschlagen“, sagt Wildings Büroleiter Sven Wiertz. Das aber ging den Kommunalpolitikern der regierenden Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP zu weit. Schließlich ist das Orchester neben dem Theatergebäude das letzte in Remscheid verbliebene Symbol der Hochkultur – ein eigenes Theaterensemble leistet sich die Stadt längst nicht mehr. Stattdessen werden freie Produktionen eingekauft.

Doch die Remscheider haben die Rechnung ohne ihre Partner aus Solingen gemacht. Schon vor 17 Jahren hatten die beiden Städte ihre Orchester zusammengelegt. Insgesamt 14 Millionen Euro sind so bereits gespart worden, schätzen Insider. Solingens Oberbürgermeister Norbert Feith (CDU) hat sich zum Weiterbestehen der Symphoniker bekannt. Seitdem pokern beide Stadtverwaltungen ums Geld: „Der 1995 geschlossene Vertrag ist nicht einseitig kündbar“, sagt Reiner Daams, der für die Solinger Grünen in der Gesellschafterversammlung der Orchester-GmbH sitzt.

In Remscheid sieht das seine Parteifreundin Beatrice Schlieper ganz anders. Natürlich sei ein Aus für die Bergischen Symphoniker „traurig“. Die Musiker leisteten „hervorragende Arbeit“ etwa mit ihrer Schulmusik, mit der Jugendliche für klassische Musik begeistert werden sollen, sagt die Chefin der grünen Ratsfraktion. Dennoch sei das Orchester ein „teures Ding“, ein „Luxus“, den sich die Pleitestadt kaum mehr leisten könne: „Wenn wir weiter 2 Millionen Euro im Jahr für die Symphoniker ausgeben, erklärt uns die Kommunalaufsicht doch für verrückt.“

Unter den Musikern geht deshalb die Angst um. Zwar haben sie mit Unterstützung von KollegInnen von der neuen Philharmonie Westfalen, vom WDR, von Orchestern aus Düsseldorf und Hagen bereits vor dem Rathaus protestiert, doch wegen der laufenden Verhandlungen will kein Symphoniker offen reden.

Die Musiker fürchten den finanziellen Kahlschlag, und nicht nur die Orchesterakademie für junge StudentInnen sei bedroht. Wenn nicht nur Remscheid, sondern auch Solingen 500.000 Euro kürzt, sei ein Viertel des Etats weg. Die Symphoniker müssten dann radikal verkleinert werden – selbst im besten Fall drohe die Abstufung vom B- zum C-Orchester. Ein Musiker fasst den kulturellen Aderlass zusammen: „Strauß, Mahler oder Bruckner können wir dann nicht mehr spielen.“ ANDREAS WYPUTTA