piwik no script img

Archiv-Artikel

Dritte Frist für die irakische Verfassung

Nach der Vorlage eines Entwurfs im Parlament drohen die Sunniten mit einem Aufstand. Nun haben die Parteien drei Tage Zeit, um die letzten Unstimmigkeiten auszuräumen. Der Hauptstreitpunkt ist nach wie vor das föderative Staatsmodell

AUS ERBIL INGA ROGG

Das Zweistromland behält seinen alten Namen und heißt weiterhin Republik Irak. Doch wird seine Regierungsform künftig „republikanisch und parlamentarisch sowie demokratisch und föderal“ sein. So steht es im Verfassungsentwurf, der Montagnacht dem irakischen Parlament vorgelegt wurde.

Ob dieser allerdings die nächsten drei Tage übersteht, ist alles andere als sicher. Mit einem politischen Winkelzug haben sich die politischen Fraktionen am Montag erst einmal Luft für weitere Verhandlungen verschafft. Um buchstäblich fünf vor zwölf erklärte Parlamentspräsident Hachem al-Hassani den Abgeordneten, dass ein Verfassungsentwurf vorliege, aber noch einige Fragen offen seien. Ohne dass darüber abgestimmt wurde, gab er dann eine Fristverlängerung um drei Tage bekannt.

Wie dünn der Firnis über dem Kompromiss ist, wurde freilich schon gleich nach der Sitzung deutlich. Während Schiiten in Nadschaf den Entwurf mit Hupkonzerten und Kalaschnikowsalven überschwänglich feierten, drohten Vertreter der arabischen Sunniten in Bagdad mit einem „Aufstand der Straße“, sollte die Verfassung in dieser Form verabschiedet werden.

Die Sunniten sperren sich vor allem gegen die Regelung zur Gründung von Teilstaaten. Zwar ist in dem Entwurf nur von Regionen statt von Bundesstaaten die Rede, wie es die Kurden gefordert hatten. Doch er gibt den Provinzen das Recht, sich zu einer gemeinsamen Region zu vereinigen. Eine oder mehrere Provinzen können per Volksabstimmung eine Region gründen. Sie verfügt dann über ein eigenes Parlament, eine eigene Verfassung und nach dem Vorbild Kurdistans sogar einen eigenen Präsidenten. Der stellvertretende Vorsitzende der Verfassungskommission, der Sunnit Adnan al-Dschanabi, forderte dagegen, dass die Nationalversammlung der Gründung von Regionen zustimmen muss. Darüber hinaus verlangen die Sunniten die Streichung des Verbots von „Saddams Baath-Partei“.

„Wir fordern von den Schiiten mehr Kompromissbereitschaft“, sagte Dschanabi. Tausende Sunniten hatten in den vergangenen Tagen landesweit gegen eine Lockerung des bisherigen Zentralismus – außer gegenüber den Kurden – demonstriert. Gleichzeitig riefen selbst Geistliche, die für ihre Nähe zur Untergrundbewegung bekannt sind, die Sunniten dazu auf, sich in die Wahllisten für das im Herbst geplante Referendum einzutragen. Selbst die terroristische Gruppierung Ansar al-Sunna hat unterdessen die Vorzüge der Demokratie entdeckt und die Sunniten zur Registrierung aufgerufen. Während Teile der Geistlichen und der Politiker das Ergebnis der Verfassungsverhandlungen abwarten wollen, steht die Marschroute der Extremisten bereits fest: Sie wollen erreichen, dass das Referendum in den mehrheitlich arabisch-sunnitischen Provinzen scheitert – und damit der gesamte politische Prozess.

Es ist freilich nicht nur der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, der in den nächsten Stunden geklärt werden muss. Die Kurden fordern das Recht auf ein Unabhängigkeitsreferendum, sollte der Verfassungskompromiss bei der Volksabstimmung im Herbst scheitern. Strittig ist, wie die Macht zwischen der Zentralregierung und den so genannten Regionen verteilt sein soll.

Dabei geht es nicht zuletzt um die Rolle des Islam. Im jetzigen Entwurf ist der Islam die Staatsreligion und eine Hauptquelle der Rechtsprechung. Zwar verlangt er gleichzeitig die Wahrung von demokratischen und Menschenrechten. Doch den Geistlichen steht damit Tür und Tor offen, jede säkulare Rechtsprechung anzufechten.