: Zum Pfusch gezwungen
ATOMKRAFT Ein amtliches Gutachten bestätigt die Vorwürfe von groben Schlampereien im alten AKW Biblis A. Die hessische Atomaufsicht hält eine Nachrüstung des etwas neueren Biblis B für „unmöglich“
VON ARMIN SIMON
Im AKW Biblis A kam es Ende 2002 bei umfangreichen Änderungsarbeiten an sicherheitsrelevanten Anlagenteilen zu groben Schlampereien. Das belegt ein im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstelltes Gutachten des Öko-Instituts. Es sei nicht auszuschließen, so warnen die Experten, „dass derzeit noch weitere Planungsfehler in der Anlage vorhanden“ seien.
Auslöser für die Untersuchung waren die Angaben eines ehemaligen Mitarbeiters von Areva/Siemens. Der Elektromonteur war mit der Aufsicht über Arbeiten im AKW Biblis betraut gewesen. Da er nicht die Verantwortung für die Schlampereien übernehmen wollte, wandte er sich im Jahr 2007 an die Organisation Ärzte gegen Atomkrieg (IPPNW), die die Hinweise an das Bundesumweltministerium weiterleitete.
Die hessische Atomaufsicht wies die Vorwürfe seinerzeit noch als haltlos zurück und sprach von „längst abgearbeiteten Mängeln“. Das Gutachten belegt nun das Gegenteil. Auf 99 Seiten listet es „Planungsfehler in der Elektro- und Leittechnik“ sowie Montagefehler in den „Schaltschränken und an den Armaturantrieben“ auf. Die Fehler seien bereits für mehrere Störungen verantwortlich gewesen. Außerdem sei es „möglich“, dass „nicht alle potenziellen Montagefehler“ bereits behoben wurden. Dokumente des Landesumweltministeriums belegen, dass dieses selbst bis Ende 2007 rund 1.600 „fehlerhafte Pläne“ überprüfen ließ. Das CDU-Ministerium sei damit „der Lüge überführt“, urteilt IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz.
Wie aus dem Gutachten hervorgeht, hatte der Elektromonteur von einem „organisatorischen Chaos“ und einer „durch Streit, Schuldzuweisungen, gegenseitige Vorwürfe, Intrigen, Lügen und Bedrohung bis hin zur Nötigung“ vergifteten Arbeitsatmosphäre berichtet. Die Mitarbeiter seien zum Pfusch „gezwungen“ gewesen. Dabei sei es etwa zu Kurzschlüssen gekommen, „bei denen ganze Anschlussstifte und Leitungsverbindungen schmolzen und erheblich beschädigt“ und nur „notdürftig wiederhergestellt“ wurden. Sein Team habe beim Einbau im Reaktor sogar an bereits getesteten Bauteilen „Montageänderungen“ durchführen müssen, berichtete der Monteur. Die Gutachter empfehlen daher „Verdrahtungs- und Funktionsprüfungen“. Insbesondere müsse sichergestellt werden, dass die Steuersignale des Reaktorschutzsystems für wichtige Ventile, Klappen und Schieber stets Vorrang vor den Eingriffen des Betriebspersonals hätten.
RWE wies alle Vorwürfe zurück und teilte mit, Sicherheit habe stets „oberste Priorität“. Biblis ist das älteste deutsche AKW, das noch in Betrieb ist. Die beiden Reaktoren sind allerdings wegen Reparaturen seit Anfang des Jahres vom Netz.
Im Rechtsstreit über die Abschaltung des zwei Jahre jüngeren Reaktorblocks Biblis B räumte das hessische Umweltministerium unterdessen ein, dass dieser wie Block A „nicht dem heutigen Stand der Wissenschaft und Technik entspricht“. In einem am Dienstag bekannt gewordenen Schreiben von Ende August äußert sich das Ministerium auch skeptisch zu Überlegungen, die Sicherheit der Uraltmeiler nennenswert zu verbessern. Den Reaktor, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, auf den „neuesten Stand von Wissenschaft und Technik“ nachzurüsten, sei „mit den Naturgesetzen unvereinbar“ und daher „unmöglich“.