IN DEN GÄRTEN REGIERT DIE WEISSE MITTELSCHICHT MIT EIN BISSCHEN ÖKOFLAIR, IM SÜDBLOCK GEHT ES BEFREIEND QUEER ZU : Soll er halt rauchen
VON ENRICO IPPOLITO
Ich sitze mit L. so rum. Im Südblock, einem der wenigen Orte in Berlin, die wirklich „queer“ sind. „Queer“ eben nicht als irgendwie hübscheres Synonym von schwul, lesbisch, bisexuell, trans et cetera gemeint – also als regenbogenfarbener Regenschirmbegriff. Sondern eher „queer“ im politischen Sinne. Im Südblock werden Machtstrukturen und Heteronormativität hinterfragt.
Es ist Freitagabend. Menschen tanzen in Rollstühlen. Draußen in der Kälte sitzen Männer mit Mützen und Bärten, Frauen mittleren Alters und wir. Der Südblock vereint Menschen, die sich sehr stark voneinander unterscheiden – es ist wahr, so albern und klischeehaft das auch klingen mag. L. kommt von der „gender-free toilet“ zurück und ist verwundert über den Anblick auf der Tanzfläche. „In Paris würde man so was nie sehen“, sagt er. Und fügt noch ein „Ich mag es hier sehr“ hinzu.
Was in Paris auch nie zu finden wäre, ist ein „Urban Gardening“-Ort. Es ist Sonntagfrüh. S., L. und ich laufen über die Oranienstraße. Ich liebe den Sonntagmorgen in Kreuzberg. Die Straßen sind leer, die Geschäfte alle geschlossen, es ist ruhig. Das ändert sich plötzlich, als wir den Prinzessinnengarten am Moritzplatz betreten. Der Flohmarkt ist voller Menschen mit Kindern und jungen hippen Paaren mit hochgekrempelten Röhrenjeans und Vintage-Sonnenbrillen auf der Nase. Alle wollen sie individuell sein, anders als der Mainstream. Am Ende wirken sie aber uniform, gar austauschbar. Weiß, Mittelschicht, modebewusst, aber mit ein bisschen Ökoflair. Wir drehen eine Runde, finden aber nichts Brauchbares oder nur Dinge, die zu teuer sind.
Wir setzen uns unter die Bäume und trinken unseren Kaffee. Neben uns sitzt ein Vater mit Baby auf der Brust. Er hat eine selbst gedrehte Zigarette im Mundwinkel. S. ist ein wenig entsetzt. „Wäre das mein Mann mit Kippe im Mund, ich würde ihm eine runterhauen“, sagt sie. Mir ist es eigentlich egal. Soll er halt rauchen. Das Baby wird es schon überleben. Wir beachten ihn nicht weiter, weil wir von einer Wespe genervt sind. L. trinkt seinen Espresso aus und fängt mit dem leeren Glas das Viech. Der Vater hat indes seine Zigarette angezündet, raucht mit Baby auf der Brust, dreht sich zu uns um. Mit einem leicht entsetzten Blick nimmt er den kleinen Kuchenteller, auf dem die Wespe unter dem Glas gefangen ist. Er steht auf, befreit das Tier. Ich denke nur: „Was für eine scheiß Doppelmoral“, sag aber nichts. Statt mich aufzuregen, laufe ich zum Südblock. F. und F. warten dort schon auf mich. Ich setze mich draußen an den Tisch und fühle mich wohl. Muss mich nicht aufregen oder komisch fühlen. Nach zweistündigem Brunch gehe ich nach Hause. Ich habe nichts gegessen, weil ich das „Brunch“-Konzept doof finde und abends zum Essen verabredet bin.
Statt den neuen Dortmunder „Tatort“ zu schauen, gehe ich mit L. ins Casolare zum Pizzaessen. Wir laufen am Kanal entlang. Es ist immer noch ruhig. Kein Mensch auf der Straße – nur L. und ich. Wir sind am Ziel angekommen, betreten das volle Lokal und werden sofort vom Hausherrn festgehalten. Als wir ihm auf Italienisch sagen, dass wir einen Tisch reserviert haben, antwortet er: „Ich dachte, ihr seid Israelis.“ L. dreht sich zu mir um, lacht und sagt: „Das wäre uns in Paris nicht passiert.“