: Wo sogar die Erdäpfel schwarz sind
taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Portrait. Wer kämpft um die Mandate? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Kleve
Kleve?„Hier sind sogar die Kartoffeln schwarz!“ So charakterisiert Siegbert Garisch, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat Kleve, seine Heimat. Im ganzen Kreis gibt es nur CDU-Bürgermeister, angepeiltes Ziel der Union sind 50 Prozent – in einigen Wahlbezirken kann es auch mehr sein. Der Niederrheiner ist, wie Humorist Hanns Dieter Hüsch ihn beschrieb, erzkonservativ aber gutartig. Jeder kennt jeden. Insofern wird eher geklüngelt als gestritten. Größter Arbeitgeber ist die Werkstatt für Behinderte, gefolgt von Krankenhäusern und Sozialverbänden. Abgesehen von Bo-Frost und Diebels gibt es kaum Industrie.Wer verteidigt den Wahlkreis?Nach der „Merz“-Revolution im Oktober 2004 nahm Ronald Pofalla dem Friedrich seinen stellvertretenden Fraktionsvorsitz und die Zuständigkeit für Wirtschaft und Arbeit ab. Obwohl Merkelist, ist der studierte Sozialpädagoge und Jurist nicht ins Kompetenzteam aufgestiegen. Dabei ist Pofalla CDU-Mainstream: Sinkende Löhne und Firmensteuern schaffen Arbeitsplätze. Auch außenpolitisch hat der Kohl-Fan und Sozius der Kanzlei von Kohl-Anwalt und WAZ-Erbe Stephan Holthoff-Pförtner etwas zu sagen: „Der Kampf gegen den Terror und für eine freiheitliche Welt (...) bedarf auch eindeutiger Handlungen.“ Ist das eine Reservierung für die Fahrkarte Kleve-Teheran?Wer will den Wahlkreis?Sie hat ihre Doktorarbeit über „Die Entwicklung der Margarineindustrie am unteren Niederrhein“ geschrieben, inzwischen ist sie Staatssekretärin im Finanzministerium: Barbara Hendricks, in Kleve geboren, hat eine klassische SPD-Karriere hinter sich. 1972 als 20-jährige eingetreten, ist sie über den Kreis Kleve und das Land zur Bundespolitik gekommen. Mit Landeslistenplatz 5 ist sie mit Sicherheit im 16. Deutschen Bundestag und dort wieder für Finanzen zuständig. Aber es geht ihr nicht nur ums liebe Geld. Sie engagiert sich für die Antifa-Initiative „Gegen Vergessen, für Demokratie“.Der große Außenseiter?Der Unternehmer Paul K. Friedhoff (FDP) – nicht zu verwechseln mit dem seltsamen CDU-Professor Paul Kirchhof – hat nach drei Jahren Pause wieder einen sicheren Listenplatz. So wird der Kreis Kleve mit mindestens drei Abgeordneten in Berlin präsent sein. Um vier Leute vom niedersten Niederrhein unter der gläsernen Kuppel zu wissen, müßte der Wahlkreis 113 Benjamin Müller wählen. Benjamin von der Blümchenpartei „Bündnis 90/Die Grünen“ ist tatsächlich erst 21 und wirbt mit dem Slogan „Pofalla quälen, Müller wählen!“Die taz-Prognose?Obwohl der Kandidat aussieht, als wäre er einer Fielmann-Reklame entsprungen, obwohl die niederländische Nachbarstadt Nijmegen eine grüne Bürgermeisterin hat, obwohl die meisten im Kreis über die allesbeherrschende CDU jammern, es scheint ein Naturgesetz zu sein: In Kleve ist die Kartoffel schwarz.LUTZ DEBUS