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Archiv-Artikel

Wenn Mangue sich aufrappelt

„Als wir 2002 nach dem Krieg zurückkehrten, waren die meisten Hütten niedergebrannt“

AUS MANGUE MARTINA SCHWIKOWSKI

Die Gesundheitsstation strahlt im gleißenden Sonnenlicht, es riecht nach frischer Farbe. Nur die gegenüberliegende Ruine aus der Kolonialzeit lässt noch ahnen, in welchem Zustand das Haus war, bevor es im Mai renoviert wurde. Dona Albertina Teixeira, gekleidet in eine gelbe Spitzenbluse, bittet ins karge Innere des Gesundheitspostens von Mangue. Sie warte noch auf Medikamente von der Regierung, sagt die Gesundheitsberaterin des Dorfes: Aspirin, Chloroquin. „Arznei und Verbände kommen etwa dreimal im Jahr hier an“, sagt die hübsche junge Frau und wiegt ihr Baby Helena, das gierig an der Brust nuckelt. Malaria und Durchfall, daran leiden die Kinder hier hauptsächlich. Und an Atemwegserkrankungen. Antibiotika gibt es aber nicht. Auch keinen Strom.

Mangue ist ein pittoreskes Dorf tief im Busch von Angola, mit roten Lehmhütten und grasgedeckten Dächern unterhalb der Hänge eines Berges in der Provinz Kwanza Sul. 1.500 Menschen leben hier, im Umkreis liegen noch zehn kleinere Dörfer verstreut. Für sie alle gibt es in Mangue zwei staatliche Krankenpfleger. Und die sind gerade nicht da: zur Ausbildung in der Kreisstadt Seles.

Rosafarben leuchtet das einfache Schulhaus, nur einen Steinwurf vom Gesundheitsposten entfernt. 75 Kinder drängen sich zum Unterricht morgens und nachmittags in dem einzigen Raum. Sie drücken allerdings nicht die Schulbank, sondern hocken auf dem Boden. Die bestellten Möbel haben Mangue nicht erreicht. Nur je zwei Lehrer unterrichten die beiden Klassen. Nach den ersten Grundschuljahren hat es sich ausgelernt in Mangue.

Schreiend und tobend rennen ein paar Kinder zwischen den Hütten im Dorf umher. Der kräftige Wind wirbelt immerfort die trockene, lose Erde auf. Die dunkle Haut der Kleinen ist mit einer hellen Staubschicht bedeckt. Ihre Kleidung ist zerrissen und dreckig, die Bäuche sind geschwollen. Fehlernährung und Parasiten haben sie aufgebläht. Stolz zeigt Dona Albertina dennoch auf einen alten hölzernen Tisch in der kleinen Hütte, die ihr als Büro dient. „Acção Agrária Alemã“ steht darauf – portugiesisch für Deutsche Welthungerhilfe (DWHH).

Mangue ist eines von vielen armen Dörfern in diesem Teil Angolas, die von der DWHH betreut werden. Aber Mangue ist ein besonderes Dorf. Die Welthungerhilfe hat es zum „Millenniumsdorf“ erklärt. Das heißt, hier sollen die UN-Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut exemplarisch realisiert werden. Und zwar bereits 2010 und nicht – wie geplant – 2015.

Die DWHH hat weltweit 15 Millenniumsdörfer eingerichtet. Mangue ist eines der 3 in Afrika. Dabei geht es bei dem Projekt weniger um die Leute hier als um die in Deutschland: Die Welthungerhilfe will der Öffentlichkeit zeigen, dass man mit einfachen Maßnahmen auf einem begrenzten Raum das Leben der Menschen lange vor 2015 verbessern kann.

Der Ansprechpartner in Mangue ist der Soba. So heißt hier der traditionelle Dorfchef, er gilt als Sprachrohr der Bewohner. Dann gibt es noch ein Dorfkomitee. „Doch es hängt immer an einzelnen Personen“, erklärt Peter Hinn von der Welthungerhilfe. „Wenn der Soba mit seiner Aufgabe überfordert ist, geschieht wenig.“ Die Dorfbewohner sollen ihre Bedürfnisse in erster Linie selbst an höherer Stelle vortragen. Wenn es keine Medikamente im Gesundheitsposten gibt, wird in der Kreisstadt Seles nachgefragt. Wenn sich auf Kreisebene nichts tut, geht es zum Gouverneur in die Provinzhauptstadt Sumbe. In Angola, das 1975 als sozialistischer Einparteienstaat unabhängig wurde und erst 2002 aus einem brutalen Bürgerkrieg herausfand, ist die Bürokratie schwerfällig.

„Unsere Intervention auf Dorfebene hängt auch von den nationalen Rahmenbedingungen ab“, umschreibt Hinn die Probleme, die sich daraus ergeben: Wenn die Regierung keine Materialien liefert oder die Sozialausgaben im Haushalt fehlen, kann auch in Mangue nichts passieren.

„Es sollte ein Dorf sein, das ohne bisherige Hilfe aus reiner Eigeninitiative existiert hat und sich durch engagierte Mitarbeit auszeichnet“, erklärt Manfred Bischofberger, stellvertretender Projektleiter der DWHH, die Wahl von Mangue zum Millenniumsdorf. Was das heißt? „Gemeinschaftssinn“, erläutert Hinn. So organisiert der Pastor von Mangue Gemeinschaftsarbeit: Die Leute kriegen kostenlos Materialien, zum Beispiel für den Bau der Schule, oder Saatgut und arbeiten ohne Bezahlung.

Die Welthungerhilfe will noch mehr solche Initiativen anschieben: Das Dorfkomitee sollte zum Beispiel nach der Ernte Saatgut verteilen oder Ziegen. Auch sind bessere Aufklärungsprogramme zur Aids-Prävention gewünscht. Und wenn der Schulbau aus irgendwelchen Gründen nicht vorankommt, wird die Zusammenarbeit schwierig.

Die Leute in Mangue sind es nicht gewöhnt, dass jemand sich so einmischt. Als in Angola Krieg tobte, hielten sie sich selbst gerade so über Wasser. Das Dorf lag in einer umkämpften Zone im Gebiet der Unita-Rebellen, die Angolas Regierung bekämpften. Aber die Unita setzte sich im Dorf nicht fest, die Menschen waren sich selbst überlassen. Es gab und gibt auch keine Minenfelder, wie so häufig in Angola, denn die Front lag weiter weg.

Wer damals die Regierungspartei MPLA unterstützte, flüchtete in die Kreisstadt Seles. Diese Zeit auf der Flucht dauerte 15 Jahre, von 1981 bis zur Rückeroberung der Region durch die Regierung 1996. Als der Krieg 2000 erneut aufflammte und die Unita wieder einrückte, hielten nur wenige die Stellung. Es dauerte bis zum endgültigen Kriegsende 2002, dass die Bewohner nach Mangue zurückkamen. „Als wir zurückkehrten, waren die meisten Hütten niedergebrannt“, erinnert sich Dorfverwalter Araújo de Almeida. Die ersten Rückkehrer hatten einen schweren Start. Noch vorhandenes Saatgut pflanzten sie an, die Lehmhäuser bauten sie wieder auf. Neuankömmlinge kamen dazu, wurden für Feldarbeit mit Saatgut entlohnt, der Anbau entwickelte sich, ein Gesamtkonzept zum Wiederaufbau des Dorfes gab jedoch es nicht.

Heute leben in Mangue nur MPLA-Anhänger. Ihr Dorf kam als Nachzügler zu den Programmen der Welthungerhilfe, bei denen zunächst mit der Ausgabe von Saatgut, Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Geräten die Bevölkerung stabilisiert wird und dann längerfristig an der Verbesserung der Anbaumethoden gearbeitet wird. Bei der Deutschen Welthungerhilfe meldete sich Mangue freiwillig, letztes Jahr.

„Es sollte ein Dorf sein, das bisher ohne Hilfe existiert hat und sich durch Engagement auszeichnet“

Erst jetzt wird eine Sozialerhebung im Dorf vorbereitet, die systematische Entwicklungsarbeit möglich macht. Als Millenniumsdorf steht Mangue nun unter besonderer Beobachtung. Die Zentrale der Welthungerhilfe in Bonn wird auf den Ort ein Auge haben, und die Bewohner müssen ihre Bedürfnisse verstärkt benennen, erklärt Hinn. „Aber Extramittel werden nicht ins Dorf fließen“, sagt Bischofberger. Bisher hat die Welthungerhilfe in Mangue etwa 4.000 US-Dollar ausgegeben: Renovierung des Gesundheitspostens, ein zweiter Schulraum, Ernährungssicherung. „Gemüse, Gurken, Kohl, Paprika, Zwiebeln, Maniok“, zählt Dorfverwalter de Almeida das neue Saatgut auf, das die DWHH liefern will, um Alternativen zum traditionellen Anbau von Mais, Bohnen, Erdnüssen und Süßkartoffeln zu bieten.

De Almeida ist nicht nur der Dorfverwalter, sondern auch Pastor. Er steht einer Pfingstgemeinde namens „Assembleia de Deus“ (Versammlung Gottes) vor. Aber sein missionarischer Eifer hält sich in Grenzen: Beim Gottesdienst sitzen die Gläubigen schlicht auf Baumstämmen. De Almeida versucht sich gern als Bauer und will im Dorf zeigen, was er kann. Was bedeutet es ihm, dass ausgerechnet er ein Millenniumsdorf führt? „Mann und Frau sollen gleichgestellt sein, und die Welthungerhilfe begleitet uns in der Landwirtschaft und beim Bau der Schule“, betet er das herunter, was ihm mal erklärt worden war.

In einem Punkt ist Mangue sehr deutsch: Das Dorf wirkt wie gefegt. Keine Spur von Müll, der wird in Erdlöchern verbrannt. Trinkwasser holen die Einwohner aus einem nahen Bach und kochen es ab. Zusätzlich soll künftig eine Quelle im Berg genutzt werden. „Dort hatten die Portugiesen bereits eine Einfassung gebaut, wir wollen jetzt eine Schlauchleitung ins Dorf führen“, sagt Manfred Bischofberger von der DWHH. Ein Steinlatrine ist die jüngste, wichtigste Errungenschaft: Sonst würden in Regenzeiten die Fäkalien wieder in den Bach geschwemmt.

Ob in Mangue 2010 die Armut tatsächlich um die Hälfte zurückgegangen sein wird? Wie Fortschritt in dieser Richtung aussieht, lässt sich in Amboiva erkennen, dem regionalen Projektstandort der Welthungerhilfe: Die Gesundheitsversorgung ist ein wenig besser, die Anbaumethoden auch. Und: Hier geht die Schulausbildung bis zur achten Klasse. Noch laufen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Mangue sieben Stunden nach Amboiva, um am Unterricht teilzunehmen. Nur am Wochenende kommen sie nach Hause.

Noch etwas weiter entfernt liegt Chitunda. Auch dorthin kehrten die Einheimischen nach einem lebenslangem Krieg 2002 zurück und haben mit Hilfe der DWHH eine Schule aufgebaut und Landwirtschaft betrieben. Heute fühlen sie sich von ihrer Regierung im Stich gelassen. Der Provinzgouverneur ist nicht einmal vorbeigekommen. „Die Regierung hat Aufbauhilfe, Saatgut, Rinder und Zement versprochen“, erzählt Domingo Sardinho, „aber nichts passiert.“ Und nun bleibt auch noch die monatliche Rente für die demobilisierten Soldaten beider Kriegsparteien aus.

In Mangue gibt es heute eine Beerdigung. Ein 23-Jähriger ist gestorben. Niemand will sagen, woran. „Er hat über Hals- und Kopfschmerzen geklagt“, sagt der Pastor auf dem Weg zum Haus des Toten. „Auch ein bisschen über trockene Schleimhäute.“ Vor der Lehmhütte der Familie des jungen Mannes stehen Dorfbewohner im Sand, um ihr Beileid zu bekunden. Im Innern der kleinen dunklen Hütte liegt direkt am Eingang der Leichnam auf einer Matratze auf dem Boden. Bettzeug bedeckt den Jungen, ein Lichtstrahl erhellt sein Gesicht. Alte Frauen sitzen daneben. Die Männer bleiben draußen, unter einem Baum. Es herrscht Stille. Es wird viel gestorben in Mangue.