: Zwischen Asia-Express und Nordlichtern
FILMFESTIVAL Auf dem Filmfest Hamburg werden bis zum 6. Oktober auf zehn Leinwänden um die 140 Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt. Ausgezeichnet wird der südkoreanische Regisseur Kim Ki-duk
VON WILFRIED HIPPEN
Ein Filmfest gibt es in Hamburg schon seit 1979. Damals gründeten es die deutschen Filmemacher Hark Bohm, Wim Wenders, Werner Herzog, Volker Schlöndorff u.a. als eine Alternative zum ihrer Meinung nach zum schicken und konservativen Münchner Festival. Lange liefen dann in der Stadt solche Veranstaltungen wie das Low Budget Film Forum und die Kinotage nebeneinander her, bis sie zum Filmfest Hamburg gebündelt wurden, das 1992, also vor zwanzig Jahren zum ersten Mal stattfand. Inzwischen ist es zu einem der größten Filmfeste des Landes geworden, dem es aber immer noch an einem markanten Profil fehlt.
In den Sektionen „Agenda 12“, „Eurovisuell“, „Asia Express“, „Voilá“ und Vitrian werden jeweils neue Produktionen des Weltkinos, aus Europa, Asien sowie französisch- und spanischsprachigen Ländern gezeigt, dazu kommt ein Länderschwerpunkt Quebec, Fernsehproduktionen sowie das Kinder- und Jugendfestival Michael. In der Sektion „Nordlichter“ werden Produktionen aus Hamburg und Schleswig Holstein präsentiert, darunter „Westerland“ von Tim Staffel, in dem sowohl stilistisch wie auch dramaturgisch radikal die Liebesgeschichte von Cem und Jesus erzählt. Der eine hat einen Job beim Ordnungsamt und sein Leben im Griff, der andere ist ein ins Scheitern verliebter Kiffer. Ein verstörender, poetischer und erstaunlich schön fotografierter Film, der das winterlich vereiste Sylt weiß funkeln lässt.
Mit der Sektion „Drei Farben Grün“ versucht der Festivalleiter Albert Wiederspiel seit 2010, dem Filmfest eine nachhaltig umweltbewusste Note zu geben. In 14 Filmen werden Probleme wie die allgegenwärtige Lärmbelästigung („Noise“), die drohende Zerstörung einer afrikanischen Kultur durch die Rodung von Urwäldern („Oka!“) und die Auswirkungen der Kokain-Produktion in Kolumbien („Mama Coca“) gezeigt. In dieser Programmschiene hat auch der neue Film von Fatih Akin Premiere. In der Langzeitdokumentation „Müll im Garten Eden“ erzählt er von einem kleinen Bergdorf im Nordosten der Türkei, deren Bewohner sich zehn Jahre lang gegen den Betrieb einer Mülldeponie wehrten, die die Teeplantagen der Bauern bedroht. Und auch die neue Dokumentation von Markus Imhoff wird hier gezeigt. In „More than Honey“ untersucht er auf einer Recherche, die ihn von Wanderimkern in den USA bis zu inzwischen völlig bienenlosen Gegenden in China führt, warum auf der ganzen Welt die Bienen sterben.
Seit 2010 gibt es auch einen Programmschwerpunkt, der in jedem Jahr die Wechselwirkungen einer anderen Kunstform mit dem Film angeht. Nach der bildenden Kunst und der Musik steht dort diesmal der Tanz im Fokus. Neben Dokumentationen über die Ausbildung von sechs jungen Tänzern im klassischen Ballett („First Position“), dem versuchten Comeback eines ehemaligen Stars des lateinamerikanischen Tanzes („Ballroom Dancer“) und die Rolle des Tanzes im populären indischen Film („Bollywood: The Greatest Love Story Ever Told“) wird hier auch der neue Spielfilm von Susan Seidelman gezeigt, die 1985 mit „Desperately Seeking Susan“ einen der wenigen guten Filme mit Madonna inszenierte. Ihr „Musical Chairs“ handelt von einer Tanzlehrerin, die nach einem Unfall gelähmt ist und durch die Hilfe einer für Seidelmann typischen Gruppe von sympathischen Außenseitern den Mut findet, an einem Tanzwettbewerb für Rollstuhlfahrer teilnimmt.
Der Douglas Sirk Preis ist nach dem in Hamburg als Hans Detlef Sierk geborenen Filmregisseur benannt und wird seit 1995 verliehen. Zu den bisherigen Preisträgern zählen Clint Eastwood, Jim Jarmusch, Gérard Depardieu und David Cronenberg. In diesem Jahr wird mit Kim Ki-duk ein frischer Gewinner aus Venedig geehrt. Bei der Verleihung wird er selber seinen neuen Film „Pieta“ vorstellen. Dass er dort mit diesem Rachedrama den Goldenen Löwen gewonnen hat, ist so aktuell, dass dies im Programmheft des Festivals noch gar nicht erwähnt wird.
Und auch ein anderer Festivalgewinner wird in Hamburg nachgespielt: In Locarno wurde „Lore“ von Cate Shortland mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Die australische Filmemacherin hat ihren zweiten Spielfilm in Deutschland gedreht und sie erzählt darin von der Reise der 15-jährigen Titelheldin mit ihren jüngeren Geschwistern quer durch das Land nach dem Kriegsende 1945. So wie hier wurde noch nie vom Ende des Dritten Reiches erzählt.