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Archiv-Artikel

Das „Mach was“-Kraut am Berg

Der zweite Sommer im Volkspalast geht zu Ende. Der Berg war für die Besucher eine Attraktion. Aber die Debatte um die künftige Nutzung des Schlossplatzes belebte die Do-it-yourself-Installation nicht

von Kirsten Riesselmann

Da baut man mit enormem Aufwand einen ganzen Berg, lässt hunderte an der Baustelle werkeln, beschäftigt dutzende wochenlang als Bergführer, Busfahrer und Gaststättenwirtin, jagt fast 40.000 Leute die Bergwege hoch, lässt sie klettern, pilgern, philosophieren – um ganze drei Wochen später den Berg einfach wieder abzureißen. Da fragt man sich schon: Sollte dieser Berg nicht genau das Gegenteil tun? Nämlich ein tief und fest verwurzeltes Manifest gegen übereilte Abrisspläne sein?

Die Leiterin der Sophiensæle und Haupt-Bergverantwortliche Amelie Deuflhard antwortet so: „Der Berg war immer nur ein interventionistisches Projekt zum Denkanstöße-Geben und kein Großentwurf. Eine wirkliche Zukunftsvision müssen wir noch entwickeln, müssen Experten dazuholen.“ Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr. Es ist zu hoffen, dass der spielerische Spaß mit dem urbanen Matterhorn nicht vorzeitig Energien verschlissen hat, die man für die Entwicklung eines substanziellen alternativen Nutzungskonzepts für Palast, Wiese oder Humboldt-Forum dringend braucht.

Man tut dem Bergprojekt Unrecht, wenn man es als vergeigt bezeichnet. Zwar war das intellektuelle Publikum von den Mitmachangeboten überfordert. Zudem haben der Do-it-yourself-Bastler-Ansatz und die Konzentration auf Unterhaltung ein Statement gesetzt, das sich nur wenig an Staatsräson orientiert. Der Berg war vor allem eine künstlerische Intervention mit aller dazugehörigen Freiheit, wenn diese auch ein wenig ins kollektive „Wir machen was!“-Kraut geschossen ist. Dennoch war genau diese mangelnde Erdenschwere einer erstaunlich großen Zahl von Besuchern den Eintritt wert.

Wenn der Palast nicht abgerissen und Kunst- und Theatermenschen über weitere Jahre das Bespielungsregiment führen würden, stünde wohl trotzdem nicht die fortgesetzte Alpinisierung Berlins ins Haus – mit anderen Einfällen wäre schon noch zu rechnen. Die Bergbeteiligten haben sowieso nicht vor, bis zum Umfallen gegen den Abriss zu kämpfen; sie sehen Möglichkeiten, „zeitgenössische Ideen auch in ein etwas aufgeschlosseneres Museumskonzept in einem Neubau einzubringen“, so Deuflhard.

Um darüber nachzudenken, bot der Berg eine offene, bewusst unperfekte und zuweilen auch plakative Plattform. Nachgedacht haben auf dem Berg leider vor allem die, die auch vorher schon mitgedacht hatten. Einen Dialog mit anderen Akteuren der Schlossplatzdebatte gab es wieder nicht. Das allerdings wäre die vorrangige Aufgabe des Bergs gewesen – die er aber auch nach seinem Abbau am kommenden Wochenende noch erledigen kann. Dazu muss die Gefahr eines rein touristischen Berg-Strohfeuers gebannt und das Anliegen der Bergmacher zu einem Dauerbrenner werden: Den Berg wie die Schlossplatzdebatte zu einer „Plug-in-Struktur“ zu machen, die alle besiedeln und an der sich alle andocken können.

„Wir haben kein Spiel verloren und werden weiter schauen, was wir zur Schlossplatzdebatte beitragen können“, gibt sich Deuflhard optimistisch. Muss nur noch die Schlossplatzdebatte die Rufer vom Berge überhaupt hören wollen.

Aber vielleicht hat ja das, was wirklich nur gut war am Berg, einigen Besuchern die Augen geöffnet: Wann kann man schon mitten in der eigenen Stadt eine Erfahrung von Fremdheit machen, mit orientierungslosem Wandern über der Baumgrenze und surrealistischem Kurzurlaub im Hotel Bergkristall? Die Lust am schier Unmöglichen ist geweckt – man wird sehen, ob sich 40.000 Bergwanderer im Dezember vor die anrückenden Abrissbagger werfen und die übereifrigen Politiker so doch noch zum Dialog zwingen.