Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Schlafwandler und Kriegstreiber
Das bestgehütete Geheimnis von Paris, sagt man zurecht, ist das schlechte Wetter. Auch beim „Friedensgipfel“ 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs regnete es dort am vergangenen Sonntag in Strömen. US-„Präsident“ Donald Trump traute sich nicht raus, sondern beleidigte lieber per Twitter die Feuerwehrleute, die in Kalifornien gegen die Flammenhöllen (hallo Klimawandel!) kämpfen. Die echten Staatschefs warnten davor, dass Aufrüstung, Misstrauen und Nationalismus schnell in einer Katastrophe enden können.
„Der große Krieg“, wie ihn die Franzosen nennen, war eine solche Katastrophe. Er brachte Millionen von Toten, unendliches Leiden und verwüstete ganze Regionen. Er pflügte die reale und die politische Landschaft Europas um, entfesselte Revolutionen und legte die Saat für den nächsten mörderischen Konflikt.
Das klingt vertraut? Richtig: Das sind die Risiken, die uns hundert Jahre nach 1918 auch im sogenannten Frieden drohen: Klimawandel. Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Galoppierende globale Ungerechtigkeiten wie Hunger, Armut, fehlende Bildung.
1914 marschierten die Völker Europas, darunter die Brüder meiner Oma, als „Schlafwandler“ in ihr Verderben, wie es ein berühmtes Buch des britischen Historikers Christopher Clark beschrieben wird. Zumindest teilweise trifft das auch auf unsere Lage zu. Von den nach Paris gereisten 70 Staatsfrauen und -männern scheren sich nur die wenigsten um den Raubbau an der Natur. Die meisten machen sogar fröhlich dabei mit, wie gerade wieder der Bericht „Brown to Green“ über die G20-Staaten klargemacht hat. Jüngstes Beispiel fürs Schlafwandeln? Derzeit läuft im ägyptischen Sharm el-Sheik die nächste UN-Konferenz zur Artenvielfalt. Motto: Retten, was zu retten ist. Das interessiert aber kein Schwein.
Im Gegenteil. Wenn der neue brasilianische „Präsident“ verkündet, den Amazonaswald noch stärker zu roden; wenn Donald T. in Nationalparks nach Öl bohren lässt; wenn die polnische Regierung ihren letzten Urwald zu Kleinholz macht und die EU weiter mit ihrer Agrarpolitik das Land entvölkert – dann ist das kein Schlafwandeln. Sondern ein sorgfältig geplanter Vernichtungsfeldzug, solide finanziert und juristisch wasserdicht abgesichert.
Wenn das so weitergeht, werden sich in 97 Jahren die Staatschefs der Welt wieder in der französischen Hauptstadt treffen. Aber nicht, um ein Kriegsende zu feiern. Sondern um zuzugeben, dass sie uns alle haben im Regen stehen lassen. Und um drei gebrochenen Friedensverträgen nachzutrauern: der UN-Konvention zum Schutz der Biodiversität, den „nachhaltigen Entwicklungszielen“ und dem Pariser (!) Abkommen zum Klimaschutz von 2015.
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