: Ein Album, zwei Leben
SOUNDS Der afrikanische Musiker Janka Nabay macht gerade eine furiose zweite Karriere im Westen. Es gibt aber Widersprüche in seiner Vergangenheit
VON RENÉ MARTENS
Dass jemand mit 47 Jahren sein Debütalbum veröffentlicht, ist ungewöhnlich – erst recht, wenn er in den neunziger Jahren ein Stadionstar war. Ein Star war der Musiker Janka Nabay, der heute in New York lebt, allerdings damals in seinem Heimatland Sierra Leone, und Werke in Albumlänge hat er durchaus schon veröffentlicht, aber lediglich auf Kassette.
„En Yay Sah“ heißt jetzt jenes furiose Album, das nun – zehn Jahre nach seiner Ankunft in den USA – den bisherigen Höhepunkt in der zweiten Karriere des westafrikanischen Künstlers markiert. Die begann 2010 mit einer EP, betitelt „Bubu King“. „König des Bubu“, das ist gewissermaßen Nabays zweiter Name. Der traditionelle Bubu stammt aus den Gebieten der Temne-Ethnie im Nordwesten Sierra Leones und dient als Prozessionsmusik während des Ramadan. 500 Jahre alt sei diese Musik, sagt Nabay, der sie in den neunziger Jahren elektrifiziert und radikalisiert hat.
Was für Rhythmen!
Einerseits ist der zeremonielle Charakter der Ursprungsmusik den Songs auf „En Yay Sah“ noch anzumerken, andererseits sorgen Nabays Mitmusiker für einen urbanen, hyperenergetischen Sound. Sie sind in der Ersten Welt aufgewachsen: New Yorker Underground-Größen wie der Skeletons-Schlagzeuger Jonathan Leland.
Auf „En Yay Sah“, erschienen auf David Byrnes Label Luaka Bop, teilt er sich die Rhythmusarbeit mit einer Drum-Machine, ihm verdanken wir zum Beispiel das rasante Glockengeklöppel in den Songs „Eh Mene Ah“ und „Ro Lungi“. Auch wenn das jetzt nach einer eurozentrischen Vereinfachung klingt, nach Ignoranz gegenüber der musikalischen Vielseitigkeit eines riesigen Kontinents: Die Schnelligkeit, die Janka Nabay und seine Bubu Gang an den Tag legen, erinnert an die südafrikanische Shangaan-Musik, die dank der 2010 erschienenen Compilation „Shangaan Electro New Wave Dance Music From South Africa“ und des in diesem Jahr veröffentlichten Remixalbums eine gewisse Bekanntheit erlangt hat.
Zumindest fragt man sich sowohl bei Shangaan als auch beim Bubu à la Nabay: Was sind das bloß für Rhythmen? Stellen sich die Musiker etwa vor, dass man dazu tanzen soll? Trotz dieser Irrwitzigkeit ist die Musik, mal von Casio-artigen Keyboards, mal von psychedelischen Orgelsounds bestimmt, relativ zugänglich – auch dank des Call-and-Response-Zusammenspiels zwischen dem Sänger Nabay und der Sängerin Boshra Al-Saadi. Vergleichsweise gebremst klingt der eckig-funkige Titelsong, er hat einen ähnlichen Vibe wie der weiße New Yorker Post-Punk-Funk der frühen achtziger Jahre. Man kann sich durchaus vorstellen, dass Musiker von ESG oder den Bush Tetras kürzlich im Publikum gestanden haben, als Nabay und Co. „En Yay Sah“ im Museum of Modern Art vorstellten.
Um beim Thema Fans unter Kollegen zu bleiben: Der Düsseldorfer Elektronik-Produzent Stefan Schwander, der unter dem Namen Harmonious Thelonious – eines seiner vielen Alias – mit afrikanisch klingenden Trommelsounds arbeitet, schätzt Nabay sehr, er hat ihn in vor einigen Monaten in Klaus Walters byteFM-Sendung „Was ist Musik“ vorgestellt. Nabays Album markiert einen neuen Höhepunkt unter den europäisch-afrikanischen Kooperationen der jüngeren Vergangenheit. Bemerkenswert ist die Hierarchie in der Band. Der afrikanische Musiker ist der Leader, die weißen Jungs sind die kompetenten Handlanger. Ein Unterschied zu den Rahmenbedingungen jener Alben, bei denen Musiker aus Europa bei Aufnahmen im Senegal oder an der Elfenbeinküste Regie führten.
Solche Kollaborationen haben fast zwangsläufig einen postkolonialistischen Touch, auch wenn es sich bei den Initiatoren um in dieser Hinsicht unverdächtige und auch sonst honorige Typen handelt. Es gibt auch politische Widersprüche in der Musik Janka Nabays. Dabei spielt ein gewisser Sam Bockarie eine zumindest kleine Rolle. Er ist in Sierra Leone ein führender Akteur der Rebellenarmee Revolutionary United Front (RUF) während des Bürgerkriegs zwischen 1992 und 2002, in dem es im wesentlichen Maße um Diamantenvorkommen ging.
Bockarie agierte lange als „Mann fürs Grobe“ (FAZ) für den Kriegsverbrecher Charles Taylor, den das Sondertribunal für Sierra Leone kürzlich zu 50 Jahren Haft verurteilte. Als Spezialität der Rebellen galt es, Zivilisten die Hände oder die kompletten Unterarme abzuhacken und gewaltsam Kindersoldaten zu rekrutieren. Wenn sie in die Dörfer einfielen, ließen die Rebellen offenbar häufig Janka Nabays Musik als Soundtrack laufen.
Das ist nichts, was man dem Künstler vorwerfen könnte. Zumal er zu jener Zeit der Einzige im Lande war, den man im sehr weiten Sinne als Popstar bezeichnen konnte. Es wäre eher verwunderlich gewesen, wenn die Rebellen keine Nabay-Fans gewesen wären. Die New Yorker Wochenzeitung Village Voice berichtete aber auch davon, dass Sam Bockarie Nabay und seine Mitmusiker während des Krieges 17 Tage lang „aufgenommen“ habe. Im Quartier Bockaries gab er mit seiner damaligen Band mehrere Konzerte. Die Village Voice zitiert Nabay mit den Worten: „Sie“ – gemeint sind Bockarie und offenbar dessen engerer Kreis – hätten seine Band und ihn in dieser Phase mit Geld und Lebensmitteln versorgt.
Erfahrungen im Krieg
Leicht zu bewerten ist der Vorgang nicht, erst recht nicht ohne Kenntnis der genauen Kriegsumstände. 2002, nach Ende des Bürgerkriegs, verließ Nabay Sierra Leone. Dass die zweite Karriere überhaupt in Gang kam, hat er zu einem gewissen Teil dem Radiojournalisten Wills Glasspiegel zu verdanken. Der wurde auf Nabays Musik durch eine Dokumentation für den Sender Afropop Worldwide aufmerksam. Vorher hatte der Künstler in den USA unter anderem für eine Schnellimbisskette gearbeitet und Müllwagen gewaschen. Wenn man zumindest ein vages Bild von den Erfahrungen hat, die Nabay im Bürgerkrieg und in der Migration gemacht hat, versteht man auch, warum er definitiv nicht jünger aussieht als 47 – und warum in seiner sonnigen Musik manchmal eine dunkle Seite zu spüren ist.
■ Janka Nabay: „En Yay Sah“ (Luaka Bop/Soulfood)