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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Eine spannende Odyssee“

Die georgische Autorin Nino Haratischwili sitzt nicht nur sprachlich zwischen allen Stühlen, sondern auch geographischDEUTSCH ODER GEORGISCH Über die Ungeduld ihrer Landsleute wird sie schon manchmal wütend, auch über die Dominanz der Familie, mit der jede Entscheidung abgesprochen werden muss. Aufgeben würde die in Hamburg lebende junge Prosa- und Theaterautorin Nino Haratischwili ihre Heimat Georgien aber nie

Nino Haratischwili, 26

wuchs – mit zweijähriger Unterbrechung von 1993 bis 1995, die sie in Deutschland verbrachte –, in Tiflis auf. Dort studierte sie Filmregie und sie leitete die freie zweisprachige Theatergruppe „Das Fliedertheater“.

■ Von 2003 bis 2007 studierte Haratischwili Schauspieltheaterregie an der Theaterakademie Hamburg.

■ Ihr erstes Stück, „Z“, wurde 2006 am Hamburger Thalia in der Gaußstraße aufgeführt, 2007 „Agonie“ und „Georgia“, ebenfalls in Hamburg. Weitere Stücke, die sich oft um Beziehungen drehten, manchmal aber auch mit georgischer Politik verknüpft waren, folgten.

■ 2008 bekam sie sowohl den Autorenpreis des renommierten Heidelberger Stückemarkts als auch den Hamburger Rolf-Mares-Preis.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Haratischwili, wie oft fahren Sie nach Georgien?

Nino Haratischwili: Es ist nach wie vor ein Zuhause, und ich versuche mindestens einmal jährlich hinzufahren. Ein Großteil meiner Familie und etliche Freunde leben dort. Und unabhängig von der Nationalität ist Tiflis der Ort, an dem ich aufgewachsen bin und den ich ab und zu aufsuchen muss, um eine andere Energie zu tanken.

Welche Stimmung herrscht dort?

Es ist nicht wirklich ruhig; auch ist unklar, wie genau die politische Lage ist. Das Volk ist unzufrieden. Die Parteien sind zerstritten. Keiner weiß, wohin die Reise geht – auch nicht in Bezug auf Abchasien und Ossetien. Der Krieg mit Russland hat keinerlei Klarheit gebracht, sondern viel Elend. Das wissen alle, und niemand glaubt mehr, dass dieses Problem militärisch lösbar ist. Rein kräftemäßig ist es ja auch absurd, daran auch nur zu denken. Andererseits ist es aufgrund der russischen Politik schwer, das Problem diplomatisch zu lösen. So bleibt das Ganze merkwürdig unklar, denn es gibt immer noch die Hoffnung, dass die Flüchtlinge, die zweimal – erst in den Neunzigern und jetzt 2008 – alles stehenließen, irgendwann zurückkehren können.

Haben die Tifliser diese Flüchtlinge gern aufgenommen?

Ja. Ich war 1990, als der Krieg ausbrach, gerade dort zu Besuch. Zuerst war ich wie betäubt. Andererseits fand ich es sehr beeindruckend, dass alle zu diesen Menschen gingen und ihnen Essen, Kleidung, Kinderspielzeug brachten.

War Ihr Umzug nach Deutschland auch eine Flucht?

Nicht im politischen Sinne. Meine Mutter ist 1993 nach Deutschland gezogen, weil sie hier Arbeit hatte. Damals herrschten in Georgien Inflation und Arbeitslosigkeit, und etliche Familien wurden auf der Suche nach Arbeit auseinander gerissen. Mein Vater ist damals in die Ukraine gegangen. Meine Mutter hierher; sie wollte eigentlich nur „überwintern“. Dann hat es sich ergeben, dass sie blieb. Ich bin damals mitgegangen, allerdings nur für zwei Jahre. Mit 14 ging ich nach Georgien zurück, weil ich Sehnsucht hatte. Als ich dort war, merkte ich, dass ich mich verändert hatte und „westlicher“ geworden war. Nach dem Abi in Tiflis habe ich dann beschlossen, in Deutschland zu studieren. Seitdem lebe ich hier.

Was genau war Ihnen 1995 an Georgien fremd geworden?

Einerseits ist die Pubertät natürlich ohnehin eine Zeit, in der man sich stark verändert. Und für mich war die Ankunft in Deutschland ein echter Kulturschock gewesen: Ich kam aus der georgischen Hauptstadt, aus einem Land, in dem eine laute, lebendige Familie zentral ist – und fand mich in einem nordrhein-westfälischen Dorf wieder, an einer evangelischen Schule. Als ich nach Georgien zurückging, habe ich gemerkt, dass es auch nicht paradiesisch war. Inwiefern? Das fing schon damit an, dass ich mit der Dominanz der Familie nicht mehr zurechtkam. In Georgien tut man nichts, ohne es mit seinen Verwandten abzusprechen. Das fiel mir schwer, weil ich inzwischen gelernt hatte, selbst klarzukommen. Und selbst die Initiative zu ergreifen – ich habe an der Schule eine Theater-AG gegründet –, ist vielen Georgiern völlig fremd. Überhaupt wagt dort kaum jemand gegen den Strom zu schwimmen. Stattdessen erschöpft man sich in fruchtlosem Gerede, ohne etwas zu tun.

Fruchtloses Gerede?

Den Diskussionen über die letzten 20 Jahre etwa fehlt schlicht die Tiefe. Man belässt es bei einer allgemeinen Unzufriedenheit, Rückwärtsgewandtheit und dem Gefühl, Opfer zu sein. Da gibt es wenige, die genauer hinsehen und bereit sind, sich mit den Schattenseiten der eigenen Mentalität zu befassen. Kaum jemand hat auch die Geduld, die für den Aufbau einer Demokratie nötig ist; viele haben nicht einmal einen Begriff davon. Die treten lieber eilig den Marsch nach Westen an, damit die Wirtschaft floriert und Geld fließt. Es herrscht ein regelrechter Kapitalismus-Boom. Und die Menschen meiner Generation haben sich da schnell angepasst …

während Sie lieber schreiben. Warum eigentlich?

Ach, ich habe mich schon als Kind oft in Bücher geflüchtet – einfach, weil ich in einer kulturell interessierten Familie aufgewachsen bin. Aber richtig angefangen hat es, als ich zwölf, 13, 14 war. Damals habe ich das natürlich noch nicht ernsthaft betrieben und mich selbst auch nicht ernst genommen. Irgendwann hieß es dann, ich solle für die Theater-AG der Tifliser Schule ein Stück schreiben. Das habe ich gemacht – dabei hatte ich vom Stückeschreiben überhaupt keine Ahnung! Trotzdem haben Sie sich einfach hineingestürzt …Zum Glück habe ich damals viele Menschen getroffen, die mich bestärkt haben. Da hab’ ich zum ersten Mal kurz darüber nachgedacht, beruflich zu schreiben. Szenisches Schreiben studieren wollte ich aber nie, weil ich wusste: Das ist mir auf Dauer zu einsam, ich brauche einen Gegenpol. Der war dann das Inszenieren. Das ist eine Teamarbeit, bei der man immer andere Menschen braucht – vom Schauspieler bis zum Lichtdesigner. Beruflich zu schreiben war trotzdem lange kein Thema für mich, weil ich immer dachte: Ich trau’ mich das nicht. Ich hatte ich immer einen zögerlichen Umgang mit dem Schreiben – obwohl ich immer wusste: Ich brauche das, ich will das weitermachen.

Gibt es Erinnerungen, die Sie durch das Schreiben mildern wollen?

Das Schreiben ist für mich keine Therapie, nein. Überhaupt ist es nicht sehr selbstbestimmt in dem Sinne, dass ich mit einem Plot und Figuren hinsetze und beschließe: In dem Kapitel passiert das und das. Es es ist eher etwas, das durch mich hindurchfließt. Natürlich muss man einen groben Plan und ein Thema haben. Aber letztlich ist es eine spannende Odyssee, erst im Nachhinein, wenn der Text fertig ist, zu entdecken: Wow, das wollte ich die ganze Zeit sagen!

Sie schreiben auch über Georgien. Werden Sie das Thema irgendwann ad acta legen?

Es war eher andersrum: Gerade weil ich hier in Deutschland lange als georgische beziehungsweise als deutsch-georgische Autorin gehandelt werde, habe ich immer versucht, dieses Thema zu meiden. Nach dem Regiestudium hat dann mir dann irgendwer vorgeschlagen, über die Heimat zu schreiben.Wie haben Sie darauf reagiert? Ich dachte nur: Oh nee – jetzt kommt das Klischee. Dann bin ich nach Hause, hab’ mich hingesetzt – und es kam und kam, 70 Seiten, und ich dachte: Mein Gott! Da war doch was! Ich hab es dann sehr gerafft und lektoriert, und 2007 wurde „Georgia“ in Hamburg aufgeführt. Wir haben damit auch einen Preis gekommen, und jetzt wird es in Wien nachgespielt. Dabei war ich so unsicher, ob der Stoff jemanden interessieren würde. Als 2008 der Krieg ausbrach, wurde es dann aber sehr aktuell. Wir haben am Hamburger Thalia Theater eine Benefizlesung für georgische Flüchtlinge organisiert, und plötzlich kannten viele das Stück. Ich finde es gut, dass darüber eine Aufmerksamkeit für georgische Probleme entstand. Ich würde das Stück irgendwann gern in Georgien aufführen.

Apropos: Welches ist eigentlich Ihre Muttersprache?

Schwer zu sagen …

Aber das Georgische war zuerst da.

Ja. Ich bin dort auf eine Schule gekommen, an der viel Deutsch unterrichtet wurde. Es war eine linksorientierte, undogmatische Schule, die ein freieres Lernen erlaubte als die anderen im Land. Da habe ich recht gut Deutsch gelernt, den Rest dann hier. Was die Muttersprache betrifft: Wenn ich nicht auf Deutsch schriebe, würde ich natürlich sagen: Georgisch. Das ist eine merkwürdige Sache, über die ich schon viel nachgedacht habe. Ich glaube, die Ambivalenz hat damit zu tun, dass ich in Deutschland lebte, als ich aktiv anfing zu schreiben. Ich finde, Schreiben ist Gegenwart. Es geschieht immer im Verhältnis zu dem Ort, an dem ich mich aufhalte. Über ihn reflektiere ich, auf ihn reagiere ich. Und inzwischen finde ich es für mich auch legitim, das auf Deutsch zu tun.