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Archiv-Artikel

Glaubenskämpfe um Schnittmengen

Über die Zukunftsoption Schwarz-Grün, Steuerkonzepte und Atomkraft, Agenda-Reformen und die Linkspartei: Die Landesvorsitzenden von CDU und GAL, Dirk Fischer und Anja Hajduk, im taz-Streitgespräch zur Bundestagswahl

„Sie können doch nicht behaupten, dass wir Politik für die Reichen machen und Sie für die Armen. Das ist doch albern“: Dirk Fischer„Wir haben die Linkspartei nicht herangezüchtet. Unser Anliegen lautet eindeutig: Sicherung des Sozialstaates“: Anja Hajduk

Moderation: Sven-Michael Veit

taz: Warum mag niemand über eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl sprechen? Das Wahlergebnis könnte diese Option eröffnen.

Anja Hajduk: Ganz einfach: Die Konzepte von CDU und Grünen sind bei vielen Themen zu konträr, zum Beispiel bei Atomkraft und Energiewende, beim Verbraucherschutz oder in der Gentechnik. Auch bei der Finanzierung des Gesundheitssystems haben wir große Differenzen.

Dirk Fischer: Ich denke, dass es keine großen Glaubenskämpfe mehr gibt zwischen den demokratischen Parteien, heute stellen sich eher die Fragen nach Optionen und politischen Schnittmengen. Für die CDU ist die Option einer schwarz-gelben Koalition nahe liegend, weil die Schnittmenge mit der FDP deutlich größer ist als mit der SPD oder den Grünen. Aber wir sehen das relativ pragmatisch, wie ja auch die schwarz-grünen Koalitionen in Altona und Harburg zeigen. Das sind aber kommunale Bündnisse, in der Bundespolitik sind die Schnittmengen deutlich geringer. Ein Tabuthema für die Zukunft ist das aber nicht.

Aber wenn CDU und FDP keine Mehrheit bekommen, stehen Sie sehr schnell vor der Frage: Machen wir es mit der SPD oder mit den Grünen?

Fischer: Dann müsste man sehen, ob man sich zusammenraufen kann. Aber ich glaube, diese Frage wird sich nicht stellen.

Hajduk: Zusammenarbeit in Hamburger Bezirken ist etwas vollkommen anderes als die Bildung einer Bundesregierung. Und wenn ich mir zum Beispiel so anschaue, was der Herr Kirchhof, der Finanz- und Steuerexperte in Angela Merkels Kompetenzteam, für ein 50er-Jahre-Familienbild hat, dann erledigt sich die Frage nach Schnittmengen zwischen CDU und Grünen.

Fischer: Herr Kirchhof steht zu dem Wahlprogramm der Union. Ich bin überzeugt, dass er gerade wegen seines möglicherweise konservativeren Familienbildes die materielle Stärkung der Familien und vor allem von Familien mit Kindern im Steuerrecht in das Zentrum seiner Politik stellt.

Hajduk: Kirchhof entlastet mit seinem Steuerkonzept ausschließlich besser Verdienende. Zusätzlich belastet er die öffentlichen Kassen mit über 40 Milliarden Euro allein im ersten Jahr. Was daran nachhaltig und von Nutzen für die junge Generation sein soll, ist mir schleierhaft. Mit diesen Vorstellungen spaltet er das Land ...

Fischer: Sie können doch nicht behaupten, dass wir Politik für die Reichen machen und SPD und Grüne für die Armen. Das ist doch albern.

Hajduk: Studien weisen nach, dass Kirchhofs Konzept gering Verdienende belasten und besser Verdienende entlasten wird. Wenn Sie das wollen, dann stehen Sie doch dazu.

Fischer: Sie unterschlagen die Freibeträge und weitere vorgesehene Entlastungen. Das ist doch nicht zutreffend, was Sie behaupten.

Diese Frage scheint eindeutig nicht zur schwarz-grünen Schnittmenge zu gehören. Noch weniger Übereinstimmungen dürfte es vermutlich beim Thema Energie geben?

Fischer: Sicher gibt es da Differenzen, auch wenn ich das Thema Kernkraft nicht so dramatisch finde, wie manche es aus Wahlkampfgründen darstellen. Wenn Rot-Grün Restlaufzeiten der Kernkraftwerke von 32 Jahren verantworten kann, kann man auch die technisch möglichen 40 Jahre verantworten. Wir wollen längere Laufzeiten und die klare Absprache mit der Energiewirtschaft, dass die niedrigeren Kosten an die Verbraucher weitergegeben werden.

Wir müssen die zu hohen Energiekosten senken, damit der Standort Deutschland konkurrenzfähiger wird. Das Problem haben wir doch gerade in Hamburg wegen der drohenden Schließung der Aluminiumwerke gesehen.

Hajduk: Ich finde, da machen Sie einen groben Fehler, weil Sie den notwendigen Wechsel in der Energiepolitik konterkarieren. Längere Laufzeiten von Atomkraftwerken wirken sich doch nicht zum Vorteil der Verbraucher aus, sondern hemmen die erforderlichen Investitionen in neue Kraftwerkstechnologien. Zudem wollen Sie den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien bremsen, auch wenn Sie diese offenbar nicht mehr verteufeln. Wir brauchen diese Alternative aus ökologischen und ökonomischen Gründen, keinesfalls aber den Weiterbestand der Risikoenergie Atomkraft.

Ein Thema, bei dem Grüne und CDU auch weit auseinander liegen, ist der EU-Beitritt der Türkei. Ich nehme gern zur Kenntnis, dass Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust dafür ist, im Gegensatz zur ablehnenden Haltung der Bundes-CDU.

Fischer: Wir wollen ja keine neuen Kernkraftwerke, aber wir brauchen längere Laufzeiten – und Deutschland hat die weltweit beste und sicherste Reaktortechnologie – für den Wettbewerbsstandort Deutschland und zu günstigeren Preisen für die Verbraucher ...

Hajduk: Die Konzerne haben doch schon gesagt, billigen Strom machen sie nicht ...

Fischer: Da wird eine neue Bundesregierung darüber verhandeln müssen, unter welchen Bedingungen längere Laufzeiten erlaubt werden. Und die wichtigste Bedingung wird die Kostensenkung sein, das hat Angela Merkel klar gesagt.

Zur Türkei-Frage: Selbstverständlich darf Ole von Beust eine Meinung haben, die nicht die Mehrheitsmeinung ist. Die CDU ist nämlich eine meinungstolerante Partei. Die EU hat die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gegen unseren Willen beschlossen, und deshalb werden diese auch nach einem Regierungswechsel in Berlin stattfinden. Das Ergebnis aber ist offen, eine Entscheidung über den Beitritt selbst wird ohnehin erst in zehn oder 15 Jahren fallen. Eine privilegierte Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei, wie die CDU sie vorgeschlagen hat, ist weiterhin eine Möglichkeit.

Hajduk: Das ist ein Punkt, wo wir in der Tat eine grundlegende Differenz haben ...

Fischer: Ja, das ist nicht zu bestreiten.

Mit den Agenda-Reformen haben rot-grüne Bundesregierung und auch schwarz-gelbe Opposition im Bundestag sich einen neuen Konkurrenten herangezüchtet: Die Linkspartei. Wie wollen Sie der begegnen?

Hajduk: Herangezüchtet haben wir die nicht. Wir haben notwendige Veränderungen vorgenommen: im Sozialsystem, bei der Rentenfinanzierung und auf dem Arbeitsmarkt. Da gibt es natürlich Diskussionen und auch Sorgen bei vielen Menschen. Die Linkspartei bietet den Menschen zu einfache Antworten an. Mit wohlklingenden Formulierungen verschließt sie die Augen vor der demographischen Entwicklung und verschiebt die Probleme weiter in die Zukunft. Wir müssen uns im Wahlkampf damit auseinander setzen und unsere Anliegen besser deutlich machen. Und die lauten eindeutig: Sicherung des Sozialstaates.

Fischer: Sicher sind Fehler gemacht worden in der Umsetzung dieser Reformen. Speziell in den neuen Ländern, wo die PDS eine höhere Ausgangsbasis hat als im Westen, ist viel Enttäuschung entstanden. Zwar auf einem höheren materiellen und sozialen Niveau als früher in der DDR, aber sie existiert dennoch. Das nehmen wir zur Kenntnis, wir als Union werden aber keine spezielle Abwehrstrategie fahren.

Wird die nächste Bundesregierung – Schwarz-Gelb oder Rot-Grün – von den Agenda-Reformen etwas zurücknehmen, um der Linkspartei den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Fischer: Die Agenda 2010 ist die richtige Richtung, aber nicht tiefgreifend genug. Eine schwarz-gelbe Bundesregierung wird nichts zurücknehmen. Der Strukturwandel muss im Interesse des Landes fortgesetzt, den Menschen aber besser erklärt und vermittelt werden. Und dann müssen diese Reformen aber auch Wirkung zeigen für Wachstum und Arbeit. Wer das nicht schafft, wird nicht wieder gewählt werden.

Hajduk: Da stimme ich zu. Diese Veränderungen, die wir eingeleitet haben, sind notwendig und müssen sozial gerecht weitergeführt werden. Da unterscheiden wir uns allerdings von der CDU, die zum Beispiel mit der Kopfpauschale und dem Steuerkonzept solidarische Prinzipien einreißt.

Der Gewinner der Bundestagswahl wird also weitere Grausamkeiten verüben. Und wird damit zwangsläufig zum Verlierer der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2008?

Fischer: Nein. Wir gewinnen die Bundestagswahl, bis spätestens 2007 wird unsere Politik Erfolge bringen, und dann werden wir in Hamburg die absolute Mehrheit verteidigen.

Hajduk: Ich bin zuversichtlich, dass wir unabhängig von der Konstellation im Bund in Hamburg die absolute Mehrheit der CDU brechen werden.