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Kunst lügt nicht und lügt prinzipiell

René Pollesch hat mit „Cappuccetto Rosso“ einen gut integrierten Kommentar zur Salzburger Kleiderordnung und dem Starkult der Festspiele geliefert. Sophie Rois verschwendet sich wunderbar und alles rebelliert gegen das neoliberale Missverständnis, dass man sich sein Glück verdienen kann

VON SABINE LEUCHT

René Pollesch bei den Salzburger Festspielen – das ist etwa so, als würde Angela Merkel zum TV-Duell mit Schröder in Unterwäsche erscheinen. Das Festival der stolzen Preise, bei dem die Kleiderordnung („festlich!“) auf der Eintrittskarte steht, und dann der Mann, der sein Theater dem Überlebenskampf verschrieben hat und dem Anschreien gegen die „ganze neoliberale Scheiße“. Hier der repräsentative Starkult, da das hyperventilierende Vorbeipreschen an jeder Form der Identifikation: Lieber schnell sprechen als langsam hineinfühlen. Der Ehrlichkeit wegen.

Polleschs „Cappuccetto Rosso“ ist da die Ausnahme. Das Erstaunlichste ist vielleicht: Pollesch nimmt in diesem neuen Stück Salzburg und seine Mechanismen durchaus ernst. Das grellorange Plastikzelt mit der Web-Adresse der koproduzierenden „volksbuehne-berlin.de“ markiert erst mal deutlich das proletarisch anmutende Fremde, das dieser Tage auf dem Mozartplatz gastiert. Zuschauer sitzen auf Plastikstühlen und trinken Bier aus der Flasche. Auf der Plane, die eine von Bert Neumanns zuletzt über den Berliner Alexanderplatz rollenden Containerbühnen vom Publikum trennt, steht in verblassten Lettern „BILLIG“. Dann aber kommt das Thema Moretti ins Spiel und die Frage, warum er als Hitler in Breloers „Speer und Er“ keinen Schäferhund an seiner Seite haben konnte. „Weil das eben sofort in Kommissar Rex umschlägt.“

Es sei denn, man mache es wie der Kušej, der gleich zwei Schäferhunde neben den Moretti stellt, meint Sophie Rois. Da fängt es schon an und hört nicht mehr auf, das Kreisen um Salzburg in Salzburg, um das also, wovon Pollesch nun ein sich nur mäßig sperrender Teil geworden ist: die schillernde Repräsentationskultur, das Geld-für-außergewöhnliche-Leistungen-Konzept. Der Starkult, den der Prater-Hausherr kritisiert, den er aber auch auf seine Weise bedient.

Der Österreicher Tobias Moretti spielt in diesem Jahr nicht nur den Teufel im traditionsreichen „Jedermann“, sondern auch die Titelfigur in Martin Kušejs Grillparzer-Inszenierung „König Ottokars Glück und Ende“, mit besagten Hunden. Auf seiner Homepage-Baustelle klebt Moretti ein interessantes Bonmot an der Backe: „Kunst lügt nicht – Gegensätze schließen sich nicht aus …“ So ist das: Kunst lügt nicht und lügt prinzipiell. Und Rois ist natürlich auch ein Star.

„Cappuccetto Rosso“ ist vielleicht deshalb so sanft geworden, so leise und theoriekaskadenarm, weil in dieser fremdartigen „Rotkäppchen“-Geschichte ein Regisseur seiner Lieblingsschauspielerin huldigt. Vielleicht geht man der theatralen Grundverabredung – oder Pollesch selbst – auf den Leim, wenn man den Spielleiter im Stück (Volker Spengler) mit dem Regisseur des Abends gleichsetzt. Aber es gibt hier deutlich mehr Identifikation als üblich. Spengler inszeniert „Die Nazischicksen“ mit der nach einer Lubitsch-Nazischickse benannten Maria Tura, Pollesch inszeniert vor allem die wunderbar sich verschwendende Sophie Rois. Das Drama um dem Verlust ihres (oder Turas) „Zaubers“ ist nun tatsächlich beides zugleich: halbwegs geradliniges Boulevard, dialogisches Garderoben-Kabarett samt Lampenfieber und Heißhungerattacken. Aber auch das gute alte Pollesch-Antitheater. Da sind die alten Gesichter: neben Spengler und Rois Caroline Peters und Christine Groß. Da ist die szenische Mitverwurstung der dringend benötigten Souffleuse, da sind die schrillen Kostüme und vor allem die Themen: Das Getrenntsein von sich selbst in der globalen Maloche-gegen-Kapital-Beziehung wird hier am Beispiel des Theaters selbst durchexerziert: Von „der Geldähnlichkeit der Verstellungskunst“ ist die Rede, in der ein Moretti alles sein zu können glaubt. Aber auch vom neoliberalen Missverständnis, dass man sich Glück verdienen könne.

Dagegen steht Tura-Rois’ inflationär beschworener „Zauber“, der so ohne Grund da war, wie er wieder verschwunden ist.

Von Pollesch kam die letzte Schauspielpremiere der Saison 2005 und sie ist auf ähnliche Weise Salzburg-verträglich wie das ganze Programm des Interimsdirektors Kušej. Der hat mit dem Schriftsteller John M. Coetzee nach unserem inneren Barbarentum gefragt und das Schauspiel-Beiboot des großen Musiktheaterdampfers mit einer verhaltenen Waghalsigkeit flott gemacht. Für das Mozartjahr 2006, wo er dieses Spielerische sicher brauchen wird.

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