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Archiv-Artikel

Gott ist meine Performance

Zwischen Gott und Mensch steht die Kamera in Ulrich Seidls Dokumentarfilm „Jesus, du weißt“. Seidls Reduktion der filmischen Mittel suggeriert, tatsächlich der Intimität des religiösen Gefühls beizuwohnen. Nie war Voyeurismus so innig und das Kino so nahe einer religiösen Ersatzbefriedigung

von BERT REBHANDL

Es gibt Wünsche, die wohl selbst an den allmächtigen Gott selten herangetragen werden. Frau Elfriede möchte, dass der Heilige Geist über die Menschen kommt, die das Fernsehen machen. Er soll sie erleuchten, damit sie endlich sehen, was sie da jeden Tag senden. Besonderen Anstoß nimmt Frau Elfriede an den Talkshows, in denen Menschen öffentlich ihr Herz ausschütten und ihre Sünden bekennen, ohne dass sie dabei ein Schuldbewusstsein entwickeln. Wie anders ist da das christliche Gebet, in dem der Mann oder die Frau mit ihrem Schöpfer allein sind. Vertrauensvoll wenden sie sich an die höchste Macht. Niemand muss bei diesem intimen Akt vermitteln, keine Kirche muss mit ihrem Ritus aushelfen, und die Antworten sieht und hört jeder Mensch nach dem eigenen Stand der Gnade.

Über das Beten ist nicht viel mehr bekannt, als dass dazu meistens die Hände gefaltet werden und Menschen, die nicht gern frei sprechen, häufig auf die Psalmen der jüdischen Bibel zurückgreifen. Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl hat vor zwei Jahren ein kleines Experiment gewagt. Er hat zwischen Gott und die Menschen eine Kamera gestellt. Die Gebete in dem Film „Jesus, du weißt“ sind dadurch doppelt adressiert. Sie richten sich immer noch an Gott, den Herrn, und Jesus, seinen Sohn. Sie richten sich aber auch ganz direkt in ein Objektiv. Der geistliche Akt bekommt dadurch unweigerlich eine zweite performative Dimension zu der ersten, in der Gott zu etwas überredet werden soll, und sei es nur, die Kraft zu geben, die es erlaubt, das auszuhalten, was er über einen verfügt hat.

Sechs gläubige Österreicher hat Seidl für „Jesus, du weißt“ bei ihren religiösen Übungen begleitet. Frau Elfriede ist einsam, weil ihr Mann und ihre Kinder sie nicht in die Kirche begleiten, sondern lieber Talkshows im Fernsehen anschauen. Der Ehemann ist muslimischen Glaubens, für ihn ist seine Frau eine Ungläubige. In Österreich ist er allerdings ein Außenseiter, während seine Frau einer kulturellen Mehrheit angehört, die gerade im Begriff ist, zu einer religiösen Minderheit zu werden. Seidl nähert sich seinem Thema nicht soziologisch, sondern ikonografisch. Ihn interessiert das Frontale am Gebet und die Architektur im Hintergrund. Die meisten Einstellungen sind zentralperspektivisch, viele sind deutlich symmetrisiert. So ordnen sich individuelle Existenzen auf Gott hin.

Ein junger Mann, ein Quereinsteiger, dessen Eltern und Großeltern nicht gläubig sind, stiehlt sich abends von zu Hause fort, um zur Messe zu gehen. Aber Seidl zeigt nicht das, sondern er zeigt die einsame Aussprache in der Kirche: „Ich kann mich schon wieder nicht so annehmen, wie du mich geschaffen hast.“ Die Souveränität von Old Shatterhand wünscht sich dieser junge Mann, der neben der Bibel gern Karl May liest und sich dann wieder zur Ordnung ruft, weil ihm sogar beim Buch der Bücher die sexuellen Fantasien durchgehen. Jesus, der für die Menschen Blut geschwitzt hat, schweigt zu diesen Geständnissen. Seidl schneidet von dieser Passage des Rosenkranzgebets zu einer Fitnessstunde, in der auch geschwitzt wird.

Seine Methode in „Jesus, du weißt“ ist äußerst verführerisch. Die Reduktion der filmischen Mittel suggeriert, auf der anderen Seite wäre tatsächlich die Intimität des religiösen Gefühls zu sehen. Die Kamera und die Altarbilder, die in vielen Zwischenschnitten zu sehen sind, geraten unwillkürlich in einen Wettbewerb der Reglosigkeit. „Jesus, gib ein Zeichen“, lautet eine Bitte. An dieser Stelle schneidet Seidl auf ein Kreuz, und damit auf das einzige Zeichen, das gegeben ist. Mit diesem kleinen Manöver leistet er zwar seine Religionskritik, er stiehlt sich aber auch aus einem Film hinaus, in dem er präsenter ist, als es den Anschein hat. „Jesus, du weißt“ beruht auf keiner Zufallsmenge, sondern auf dem sorgfältigen Casting, bei dem Exhibitionismus und Mission wohl nicht genau zu unterscheiden waren.

Die Protagonisten haben ihr eigenes Projekt mit dem Film: Sie stellen ihn „unter das Kreuz des Siegers“, für den sie mit ihrem Auftritt ein wenig Werbung machen wollen. Seidl hingegen findet in den betenden Menschen beinahe so etwas wie Stars. Die pensionierte Chemielehrerin bürgt für einen sicheren Lacher, wenn sie Gottes Sohn gesteht, dass sie einen Privatdetektiv zur Beobachtung ihres untreuen Ehemanns engagiert hat. Sie bestimmt aber auch die Grenze des Zeigbaren, wenn sie ihren Körper als Gefängnis schildert, in dem sie nachts wach liegt.

„Jesus, du weißt“ ist eigentlich eine kleine Dokumentararbeit, die zwischen zwei großen Spielfilmen zustande kam: dem weltweit sehr erfolgreichen Film „Hundstage“ und dem noch nicht abgeschlossenen „Import/Export“. Wie schon in seinen umstrittenen „Dokuinszenierungen“ aus den Neunzigerjahren („Mit Verlust ist zu rechnen“, „Tierische Liebe“, „Models“) geht es Seidl in „Jesus, du weißt“ um ein Ordnungsprinzip im Blick auf Menschen, die sich vor der Kamera schutzlos preisgeben. Er macht ästhetisch, was sonst vielleicht nur pathetisch (oder peinlich) wäre. Er erzeugt durch die Wahl seiner Einstellungen eine Form von Würde in Situationen, in denen sich durch sein Eingreifen mit der Kamera erst die Frage nach Würde stellt. In „Jesus, du weißt“ geht es auf der ersten Ebene um Glauben, auf der zweiten Ebene um Ersatzbefriedigung für unerhörte Gebete. Was aber zeigen die Altarbilder und die Frontalaufnahmen der Menschen unter dem Kreuz, wenn nicht eine immanente Gnadenlosigkeit der religiösen wie der kinematografischen Apparatur?

„Jesus, du weißt“. Regie: Ulrich Seidl, Dokumentarfilm, Österreich 2003, 87 Min.