„Mit Beckstein kann man reden“

Die Einwanderungs- und Integrationspolitik wird auch unter Schwarz-Gelb nicht viel rigider, so der Migrationsexperte Dieter Oberndörfer. Die Rhetorik der Union ist das eine – die konkrete Politik sieht manchmal anders aus

taz: Herr Oberndörfer, Sie sind Mitglied der CDU. Graust es Ihnen davor, dass Ihre Partei die Bundestagswahl gewinnt?

Dieter Oberndörfer: Warum sollte es?

Weil dann Günther Beckstein gute Chancen hat, Bundesinnenminister zu werden. Und der hält – wie große Teile der Union – wenig von Einwanderung, die wir Ihrer Ansicht nach dringend brauchen …

Zuwanderung halte ich in der Tat für dringend notwendig – allein schon aus demografischen Gründen. Aber am Ist-Zustand wird sich durch Beckstein und die Union wenig ändern. Das Entscheidende hat SPD-Amtsinhaber Otto Schily bereits auf den Weg gebracht: das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Allerdings könnte Beckstein in der Praxis flexibler und ansprechbarer sein als Schily.

Wie kommen Sie denn darauf?

Die bayerische Zuwanderungspolitik ist zum Teil gar nicht schlecht.

Was ist gut daran?

Es wird ausgeschöpft, was rechtlich möglich ist. Man kümmert sich zum Beispiel mehr um Ausländerkinder in den Schulen, auch das Verhältnis zu den Organisationen der Zuwanderer ist gut. Mit Beckstein kann man reden, er hat Interesse. Schily dagegen geht vom Prinzip aus, das ganze Thema ist ihm lästig.

Bayern setzt stark auf Kontrolle und Druck: Kinder mit Migrationshintergrund werden dort künftig nur eingeschult, wenn sie einen Deutschtest bestehen. Beckstein will Migranten, die nicht an den Integrationskursen teilnehmen, die Sozialhilfe kürzen. Ist das der richtige Weg?

Nein, Freiwilligkeit ist besser. Aber man muss bei der bayerischen Politik vorsichtig sein: Da ist immer viel Schaum vor dem Mund, aber es passiert auch anderes. Bei der Schule ist doch entscheidend, welche Pädagogen sich wie um die Kinder bemühen, und da steht Bayern nicht schlecht da.

Heißt das, Sie wären mit der bayerischen Integrationspolitik auch auf Bundesebene zufrieden?

Natürlich nicht. Bei Zuwanderung und Integration ist hierzulande vieles nachzuholen – und das wird nicht kommen …

weil sich die Union immer noch rein ablehnend und nicht gestaltend zur Einwanderung verhält?

So pauschal würde ich das nicht sagen, dafür ist die Union zu heterogen. Wichtig ist jetzt vor allem, dass wir die Stimmung in der Bevölkerung ändern. Wir haben wieder eine Ausländerablehnung und das ist ganz schlecht für die Integration. Eine Zeit lang gab es – in Zusammenhang mit dem Süssmuth-Bericht – eine Aufbruchsstimmung, die breite Akzeptanz bis hin zum saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller hatte. Aber diese ganze Welle hat sich dann gebrochen, auch weil diese Politik nur von den Grünen und einem Teil der SPD getragen wurde. Schily wollte sie nicht. Ausländer müssen wieder das Gefühl bekommen, dass sie willkommen und Teil unserer Gesellschaft sind.

Dieses Gefühl vermittelt die Union nicht. Beckstein polarisiert und stößt Migranten vor den Kopf – z. B. mit der Forderung, Moscheen per Verfassungsschutz zu überwachen.

Da ist was dran. Aber man muss abwarten, wie er sich als Minister verhält.

Wo muss man ansetzen, um diese ablehnende Haltung zu verändern?

Die Terrordebatte ist dafür sehr wichtig. Die Menschen fühlen sich bedroht und vergessen, dass die Mehrheit der Muslime friedlich ist. Und die Muslime haben das Gefühl, generell unter Terrorverdacht zu stehen. Das muss sich ändern.

Besteht nicht eher die Gefahr, dass unter einer unionsgeführten Bundesregierung die Migranten noch mehr aus dem Blickwinkel der inneren Sicherheit betrachtet werden?

Auch hier ist unter Schily bereits vieles passiert. Wie es sich weiter entwickelt, wird stark vom Koalitionspartner abhängen. Die FDP wird solche Verschärfungen nicht akzeptieren.

Sie glauben also, dass auch nach einem Wahlsieg der Union alles so weitergeht wie bisher – die Situation der Migranten wird sich nicht verschlechtern, der gesellschaftliche Diskurs nicht verschärft?

Im Wesentlichen nein. Das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz begrenzt doch schon alles: Wir haben den Zuwanderungsstopp mit Ausnahmen. Das ist quasi die alte Gastarbeiterpolitik. Da werden hunderttausende von zeitlich befristeten Ausnahmegenehmigungen erteilt, und wenn die abgelaufen sind, müssen die Menschen wieder gehen. Vielleicht gibt es unter einer neuen Bundesregierung noch den einen oder anderen symbolischen Akt. Bei den Asylsuchenden besteht zum Beispiel die Gefahr, dass ihre finanzielle Situation weiter verschlechtert wird. Aber grundsätzliche Veränderungen wird es nicht geben.INTERVIEW: SABINE AM ORDE