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Ischa Freifall

Echte Karusselltester stellen auch nach Todesfahrten kritische Fragen

Foto: gjo

Von Gareth Joswig

Die Schwiegermutter des Inhabers beruhigt: „Ich bin auf dem Oktoberfest selbst mitgefahren und bin Rentnerin. Unsere älteste Mitfahrerin war 84“, sagt sie. Ihre Vertrauenswürdigkeit erhöht sich nicht gerade dadurch, dass sie einen Totenkopf an der Halskette trägt. Jemand vom TÜV würde so etwas jedenfalls nicht machen.

Auch ein Blick nach oben schenkt wenig Vertrauen. Ein dünner Stahlturm ragt 80 Meter in den Himmel empor. Der Jules-Verne-Tower. Warum gibt der Mensch sich nicht mit einem normalen Kettenkarussell zufrieden? Wer braucht eines in 80 Meter Höhe? Überheblich auch der Slogan: In 80 Metern um die Welt.

Am ersten Freimarkt-Tag sind JournalistInnen als Karusselltester zur Probefahrt gezwungen. Während man darauf hofft, dass doch noch der TÜV um die Ecke kommt und den Wahnsinn stoppt, ist man schon festgeschnallt in einem der Kettenflieger. Wir sollen uns gleichmäßig auf die Sitze verteilen – das sei sicherer.

Dann beginnt der Aufstieg. Der Journalist neben mir versucht Smalltalk. Ich nicke still, während ich innerlich bereue, nicht irgendeiner Religion oder wenigstens einer Sekte anzugehören. Fünf Minuten später ist alles egal. Ich wurde in 80 Metern Höhe in einem Umkreis von 32 Metern zentrifugiert. Der Journalist neben mir stellt nach der Fahrt kritische Fragen – warum es denn so dolle im Kreis ging, so hätte man ja die schöne Aussicht nur unzureichend genießen können. Ich bin froh, noch zu leben und würde die Schwiegermama und ihren Totenkopf am liebsten umarmen.

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