EROBIQUE IN DER PHILHARMONIE, SINGLES AUF DEM FLOHMARKT UND ANZUGTRÄGER AUF FAHRRÄDERN : Konditionierung im Viervierteltakt
VON JENNI ZYLKA
Die Ohren klingeln eindringlicher als eine buddhistische Klangschale. Die Nackenmuskeln sind zu Henry-Rollins-Größe angeschwollen. Und das Bier im Bauch reichte für ein ganzes Wiesnzelt. Am Donnerstag traten Fu Manchu, die den Stoner-Rock einst aus kalifornischem Wüstensand geformt haben, im C-Club auf. Von der Originalbesetzung ist zwar nur noch einer übrig, aber den erkennt man sofort: Es ist der etwas aus seiner Matte herausgewachsene Sänger und Rhythmusgitarrist Scott Hill, der sich sympathischerweise nach 25 Jahren immer noch so bewegt, als hüpfte er mit einem Tennisschläger vor dem Jugendzimmerspiegelschrank herum. Als Vorband spielte der vielversprechende Stoner-Nachwuchs, eine Band namens The Shrine, Titel wie „Whistling’s of Death“ oder „Livin’ to Die“. Man möchte nicht die Mutter eines solchen Teufelssprösslings sein, die aus Versehen dessen Texte findet und sich fortan Sorgen macht, dass ihr Kindchen dereinst im Moshpit der Hölle schmoren wird.
Immer um möglichst starke Kontrastprogramme bemüht, fuhren wir am Freitag zur „Casual Lounge“ der Philharmonie. In dessen irrer Lobby trat das weltbeste Einmannorchester und der lebende Beweis dafür auf, wie weit es Münsteraner bringen können, wenn sie ausreisen dürfen: Erobique. Auf den Treppen und Zwischenetagen lehnten vereinzelt erstaunte AbonnentInnen und schwenkten ihre vom langen Konzertgenuss eingeschlafenen Behinds probehalber ein bisschen hin und her, während das Publikum vor Erobiques elegant-elektronischem „Tour de Musique“ schon die Hände mit dem Beat in die Luft reckte, als sei man auf der Fusion und nicht beim Heinz Erhardt des Rave. Das nennt man Konditionierung im Viervierteltakt. Wir selbst hätten gar nicht mit den Händen wedeln können, weil wir uns, kicherwasserquirlig, dermaßen über Erobiques Witz mit Hanns Eisli und den Isley-Brothers ins Fäustchen lachen mussten. Und das im Hanns-Eisler-affinen Berlin.
Später am Abend durften wir bei der „Berlin Beat Explosion“ endlich mit Einstecktüchern winken: Ein Paul-Weller-„the Modfather“-Cut macht sich eben besonders gut zu feinem, italienischem Stoff. Die bezaubernde Band Les Playboys aus Frankreich, die verwirrenderweise in den späten 70ern gegründet wurde, als man doch bestimmt eher froh war, die 60er endlich hinter sich gelassen zu haben, spielte im Comet an der Spree. Der Club war zum Beatschuppen umfunktioniert worden. Eines der gestandenen Bandmitglieder sah aus wie eine lebensgroße „Thunderbirds“-Puppe mit Patina. Das passte hervorragend: Die in den 60ern entstandenen „Thunderbirds“ waren schließlich – neben Robby, Tobbi und dem Fliewatüüt – die einzig ernst zu nehmende Marionetten-Science-Fiction-Serie der Welt. Und ob man die langsam inszenierten und auch keineswegs spannenden Geschichten um den „International Rescue“-Chef Jeff Tracy, seine fünf wohlgeratenen Söhne und die „Agentin in London“, Lady Penelope, nun mag oder nicht, muss man doch ganz wertfrei zugeben: Lady Penelopes Klamotten würde man gern mal in eine Vergrößerungsmaschine legen.
Am nächsten Tag gab es, apropos, noch einen hübschen kleinen Beatflohmarkt hinter dem Sage, mit weißen Stiefeln und Singles, also teuren, 7“ großen Schallplatten, nicht einsamen Modwölfen. Da ging das Kicherwasser schon wieder, und man konnte testen, ob man auch nachmittags genug Verve für den einen oder anderen Backdrop zusammenbekommt. Was sich allerdings mit dem Anzugschnitt beißen könnte. Der Schneider eines Freundes sagte neulich: Wenn du einen Anzugträger Fahrrad fahren siehst, dann sitzt der Anzug nicht gut. Mit einem gut sitzenden Anzug kann man nicht Fahrrad fahren.