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Archiv-Artikel

Unten Künstler, oben Politiker

Nicht Gysi oder Lafontaine, sondern Diether Dehm ist die schillerndste Figur im Linksbündnis. Der Liedermacher, auf dessen Kappe Songs wie „1000 mal berührt“ gehen, hat viele Feinde. Die niedersächsische Linkspartei aber hat er hinter sich. Ein Bericht aus Hannover / von Kai Schöneberg

Schwarze Lederjacke, Goldkettchen, blaue Jeans: nicht nur modemäßig ist der schöne Diether in den 80er Jahren stehen geblieben. „Linker Yuppie“, „Salonsozialist“, „Dampfplauderer“, „rote Brause im Kopf“ ist über ihn zu lesen – der Mann, der am Wochenende beim Parteitag der Linkspartei ganz oben auf dem Podium stand, meint, er sei für die Medienfuzzis halt „ein Evokant schriller Metaphern“. Aber man wird doch mal nachfragen dürfen: Immerhin steht der Liedermacher, Ex-SPDler und Musikmanager auf Platz 1 der Landesliste des niedersächsischen Linksbündnisses für die Bundestagswahl. Wenn man den Umfragen glauben darf, ist dem Chef der Niedersachsen-PDS damit die Rückkehr nach Berlin sicher.

„Der Peter Sodann hat gesagt, ich bin wie Minotaurus: unten Künstler, oben Politiker.“ Gar nicht mythologisch, sondern zutiefst real fläzt sich an diesem Nachmittag ein unheimlich entspannter Diether Dehm auf einem Sofa in einem Öko-Café in Hannover. Er mampft ab und an ein Stückchen Kuchen und sagt, dem Tatort-Kommissar Sodann habe er sogar von der – letztlich gescheiterten – Bundestags-Kandidatur fürs Linksbündnis abgeraten. Und überhaupt, schwenkt Dehm bekräftigend die Gabel, sei es Quatsch, dass er bald mit Wecker, Witt, Lage, Lindenberg, Niedecken oder Kunze den Promi-Faktor bei den Linken erhöhen werde. Immerhin hat Dehm diese Künstler alle gemanagt oder produziert – oder tut es immer noch. Und er hat sich bereits als Strippenzieher betätigt. Das war 1999, als er die querulantische Theologin Uta Ranke-Heinemann als Kandidatin für die Wahl zum Bundespräsidenten für die PDS ins Boot holte.

In der eigenen PDS dürfte Dehms Rückkehr nach Berlin viele gruseln. Show oder Politik? Das konnten viele Sozialisten bei dem 55-Jährigen nie genau auseinander halten. Bis vor zwei Jahren war Dehm Bundesvize, das marxistische Spielbein der SED-Nachfolgepartei aus dem Westen. Dann forderte Gregor Gysi Dehms Rücktritt, andere PDS-Granden droschen auf den „unbelehrbar Orthodoxen“ wegen „nachgewiesener Politikunfähigkeit“ ein. Der linke Wessi führe sich auf, als gehöre die Partei ihm, sagte Ex-Parteichefin Gabi Zimmer, zu deren Sturz der diplomierte Heilpädagoge wohl seinen Teil beigetragen hat.

Wort gegen Wort, West gegen Ost, Ex-SPD gegen Alt-SED. Die Vorwürfe gegen Dehm, er habe den Wachdienst in der Berliner PDS-Zentrale angewiesen, den damaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch beim Verlassen des Gebäudes zu kontrollieren, hatten das Karl-Liebknecht-Haus damals zum Intrigenstadl gemacht. Ist natürlich nichts dran, sagt Dehm heute. Aber nicht nur wegen der Dehm’schen „Wachdienst-Affäre“ drohte seine Partei damals im politischen Nirwana zu zerbröseln. Es war auch die Dehm’sche Sektiererei.

An diesem Tag in Hannover wiederholt er, was ihm damals so viel Ärger einbrachte: Dehm süffelt am Schwarztee und fordert die „Vergesellschaftung von Daimlerchrysler, Deutsche Bank und anderen in Zukunft“. Die DDR sei „ja nicht an der Verstaatlichung der Konzerne, sondern an der des Mittelstandes zugrunde gegangen“. Der „marxistisch orientierte Radikaldemokrat“ (Dehm über Dehm) und die Realpolitiker aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo die PDS in der Regierung sitzt – das geht nicht zusammen. Vor allem, wenn Dehm vom „Krebsgeschwür Großbank“ schwadroniert. Aber die „Demokratisierung des Kapitals“ stehe nun mal im PDS-Parteiprogramm, rudert er mit der Gabel. „Und dazu gab es immerhin 80 Prozent Zustimmung.“

Immer noch ist er „stolz, mitgeholfen zu haben, dass die Vergesellschaftungsperspektive auch 1989 in das Berliner SPD-Parteiprogramm hineingeschrieben wurde“. Das gilt, und das gehört nur zu einem der vielen Treppenwitze in Dehms Leben, bis heute.

Ein weiterer Dehm’scher Running Gag ist, dass er nicht nur Hitparaden-Schocker wie „Was wollen wir trinken 7 Tage lang“ (Bots) oder „1000 mal berührt“ (Klaus Lage) geschrieben hat, sondern auch das einstige SPD-Parteilied. Zum 125-jährigen der einst stolzen Partei dichtete er auf Bitten von Willy Brandt einen seiner alten Bots-Songs zur Sozen-Hymne um: „Wir sind die stärkste der Partein. Und sind wir schwach, und sind wir klein, wir wollen wie das Wasser sein: Das weiche Wasser bricht den Stein.“ Vorgetragen zur Partei-Party 1988 von Heinz-Rudolf Kunze, der inzwischen auch aus der SPD ausgetreten ist, produziert im Label „Oskar-Club“.

Ja, die SPD. 33 Jahre war der Dehm Sozialdemokrat. Natürlich gab es oft Krach. Sogar mit dem Bundesaußenminister. Weil Joschka Fischer 1994 in seinem Frankfurter Wahlkreis sagenhafte 17,1 Prozent einfuhr, bekam der SPD-Kandidat Dehm bei der Bundestagswahl keinen Stich gegen die CDU-Frau Erika Steinbach. Dehm sagte dann im April 1999, als Rot-Grün beim Krieg im Kosovo mitmachte, Fischer hätte lieber „Steinewerfer von linksaußen“ bleiben sollen statt „Bombenmörder der Nato“ zu werden. Heute betont er: „Ich bin halt ein Roter, kein Grüner.“

Stunk gab es auch wegen der Stasi-Vorwürfe. 1996 kam „DD“ in die Schlagzeilen, weil er von 1971 bis 1978 als „IM Dieter“ und „IM Willy“ Freunde und SPD-Genossen bespitzelt haben soll. Angeblich prominentestes Opfer: Wolf Biermann. Dehm hat die Geschichte offenbar bis heute nicht richtig verwunden. Er sagt schlimme Dinge über seinen ehemaligen Freund, die man aber nicht schreiben dürfe, und dann, die Denunziation des Dissidenten sei „nichts als ein PR-Gag Biermanns“ gewesen. Außerdem habe er ja immer schon betont, bei DDR-Besuchen ohne sein Wissen von der Stasi abgeschöpft worden zu sein. Das SPD-Parteigerichtsverfahren gegen Dehm wurde 1997 straffrei eingestellt.

Aus der SPD, aus der er eine Woche vor der siegreichen 1998er Bundestagswahl austrat, heißt es heute nur noch, dass der Dehm ein „machtversessener Idiot“ ist. Und doch sind dem Mann, der in der 70er Jahren unter dem Künstlernamen „Lerryn“ durch die Lande tourte, Freunde von damals geblieben. Oskar Lafontaine, mit dem er gerade heute früh telefoniert hat, nennt Dehm „einen äußerst beständigen Mensch“ – Lafontaines Fahnenflucht-Image sei in den Medien durch „eine BND-gesteuerte Kampagne“ entstanden.

In den gerade fusionierenden Parteien von PDS und WASG in Niedersachsen scheint der Verschwörungstheoretiker seine Sache jedoch gut gemacht zu haben. Wohin man auch horcht: Der Hesse Dehm, den die PDS vor drei Jahren in die Wüste nach Hannover verbannte, gilt heute vielen als Integrator zwischen den studentisch geprägten West-Sozialisten und den eher aus dem Arbeiter- und Angestelltenmilieu stammenden Wahl-Alternativlern. Anders als in Bayern oder Berlin gab es in Niedersachsen, wo PDS und WASG jeweils etwa 800 Mitglieder haben, kaum Streit um die Listenplätze. Mit strammen 93 Prozent schickten ihn die beiden Verbände beim Parteitag im Juli gen Berlin, wo Dehm in Sachen Kulturpolitik unterwegs sein will. Natürlich nur in der Opposition. Rot-Rot-Grün-Gerüchte hält der Polit-Barde für „aberwitzig“.

Lieber will er „im außerparlamentarischen Raum“ agieren. Und etwas gegen den „korrumpierenden Kranz aus Privilegien“ tun, den die Parlamentarier in der Hauptstadt ertragen müssen. Nein, Dehm hebt die Teetasse, mit den Leuten in der Zentrale sei heute wieder alles im Lot: „Parteichef Bisky redet inzwischen nur noch Gutes über mich.“

Dabei hat ihm der Malocher-Stallgeruch immer gefehlt: Dehm besitzt einen Musikverlag, eine Immobilienfirma, eine Beteiligung am Privat-Radio FFH und gemeinsam mit Konstantin Wecker ein CD-Label. Man beachte auch, dass ganz in der Nähe des PDS-Büros in Hannovers Arbeiterviertel Linden Dehms niegelnagelneuer Skoda mit einem Che Guevara-Aufkleber steht, natürlich in schwarz. Der liege „viel besser auf der Strasse als mein alter A 8“.

Nach einer Entscheidung des Frankfurter Landgerichts darf „DD“ auch heute noch juristisch folgenlos „Stasi-Informant“ genannt werden. Das sei ja nur eine „Meinungsäußerung“, meint Dehm, und klar, er habe auch schon viele Prozesse gegen die Medienstrolche gewonnen. Den gegen die Bild-Zeitung zum Beispiel, die ihn „roten Millionär“ nannte. „Aber Ihnen“, kumpelt der Diether, „aber Ihnen erlaube ich das mit dem Millionär“.