: Wider den Giftmüllberg
DIE INI (V) Ein Lübecker Geigenbauer kämpft – nicht alleine – gegen Europas größte Sondermülldeponie
Die Norddeutschen engagieren sich in Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte, für Tiere oder gegen Datenmissbrauch – mal laut und knallig, mal leise und beharrlich. Diese Serie stellt in loser Folge die Menschen hinter den Initiativen vor.
Morgens ist Hedlef Uilderks’ Geigenbauwerkstatt in der Lübecker Altstadt noch geschlossen. Manchmal findet er dann Zeit, Recherchen zu betreiben für „Stoppt die Deponie Schönberg e. V.“, seine Bürgerinitiative. Schon einige geplante Mülltransporte hat er im Vorwege aufgedeckt – und mit Gleichgesinnten verhindert. Der gebürtige Ostfriese gehört zu den knapp 30 Gründungsmitgliedern der Initiative, die sich im Jahr 2000 bildete.
Auf der Mülldeponie Ihlenberg – einst „Volkseigener Betrieb Deponie Schönberg“ – wurde damals eine Verbrennungsanlage geplant. Das brachte für die Anwohner, die ohnehin unter dem Gestank der Anlage litten, das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. „Das erfuhr man ja nicht offiziell auf einer Infoveranstaltung“, sagt Uilderks. „Das haben wir zufällig über das Internet erfahren und dann mobil gemacht.“ Die Betreiber der Deponie beugten sich dem Protest: Die Verbrennungsanlage kam nicht.
Die Deponie Ihlenberg liegt zwischen Schönberg und Selmsdorf in Mecklenburg-Vorpommern, Lübeck ist 14 Kilometer entfernt, die nächste Bebauung nur 200 Meter. Mit 165 Hektar Gesamtfläche ist die Anlage die größte Sondermülldeponie Europas. Gebaut wurde sie 1979, als in der DDR Devisenmangel herrschte und die Regierung mit importiertem Bauschutt und Abfall Gewinn erzielen wollte. Von Sondermüll, der seit Jahren dort abgeladen wird, war damals nicht die Rede.
Als Uilderks und seine Frau in Selmsdorf bauen wollten, besuchte der Geigenbauer die Deponie, informierte sich bei Umweltministerium und Aufsichtsbehörde. Jeder versicherte ihm: Von der Anlage gehe keine Gefahr aus. Er ließ sich beruhigen und baute. Heute aber, zahllose Recherchen später, ist er sicher, dass der Sondermüll das Grundwasser gefährdet. „Die Anlage läuft mit einer DDR-Genehmigung, ohne ein Planfeststellungsverfahren“, sagt er und schüttelt den Kopf. Laut einer Studie der Universität Greifswald liege die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung bei den Deponiemitarbeitern um 80 Prozent höher als normal. Uilderks fordert ein Gutachten über den Zustand der Deponie, es fehle hier die Transparenz.
Die sollte ein 2002 eingerichteter Deponiebeirat bringen, in dem sich Vertreter Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns, Betreiber IAG, die Landkreise und Bürgerinitiativen offen austauschen sollten. „Je mehr wir rausfanden, desto weniger Informationen wurden rausgerückt“, sagt Uilderks. „Seit drei Jahren tagt der Beirat gar nicht mehr.“ Das ärgert den 53-Jährigen – aber aufgeben, das komme nicht in Frage. Dafür hat die Bürgerinitiative zu viel erreicht: Gutachten führten dazu, dass offene Sickerwasserbecken wegen des Gestanks abgedeckt werden mussten. Im Mai 2012 wurden Asbesttransporte aus der Region Hannover auf den Ihlenberg verboten. Und kürzlich verwarf die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit den Plan, Giftmüll aus Indien nach Selmsdorf zu holen.
Das sind Erfolge, für die es sich zu kämpfen lohnt, findet Hedlef Uilderks, auch in der Freizeit. „Das hier ist eine schöne Gegend, zu schön, um sie der Müllindustrie zu überlassen.“ KATHRIN OTTO