: Damit nichts mehr kneift
NÄHKUNST Auch in Zeiten textiler Massenproduktion ist die Änderungsschneiderei weiter gefragt. Bildungsträger bieten Umschulungen und Vorbereitungskurse an
SUSANNE PFEIFFER, GRONE-NETZWERK
VON JUDYTA SMYKOWSKI
Kleidung kommt heutzutage von der Stange. Doch Änderungsschneider, die Hosen und Röcke passend machen, werden wohl immer gebraucht. Bei der SBB Kompetenz können Arbeitslose diesen Beruf erlernen. Die Tochterfirma der Stiftung Berufliche Bildung (SBB) bietet eine Umschulung für Arbeitslose an, für die man keinerlei Vorkenntnisse braucht. Sie dauert 16 Monate und findet teils in Berufsschulen, teils in Schneiderbetrieben statt.
Eine andere Möglichkeit, das Nähen als Beruf für sich zu entdecken, bietet das Grone-Netzwerk mit dem Projekt „Näh-Gut“ in Wilhelmsburg. Die Nähkurse dort richten sich an Menschen, die besondere Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und von Isolation bedroht sind. Sie haben einen sogenannten 1-Euro-Job, bei dem sie einen Zuschuss von 1,40 Euro pro Stunde zum Hartz-IV-Satz bekommen. Aus gespendeten Stoffen und Planen nähen sie beispielsweise Babykleidung und Taschen. Ihr Auftraggeber ist ein Sozialkaufhaus.
„Stoff ist ein Medium“, sagt Anleiterin Susanne Pfeiffer. „Menschen, die erfolglos sind, haben plötzlich etwas in der Hand, was sie selbst gemacht haben, und je öfter sie es machen, desto besser wird es“, sagt Pfeiffer, die studierte Modedesignerin ist. „Dadurch wird das Selbstwertgefühl gesteigert. Es freut mich, dass ich bei diesem Prozess zusehen darf.“ Im Grone-Netzwerk gibt es auch ganz praktische Hilfe. Eine sogenannte Navigatorin hilft den insgesamt 57 TeilnehmerInnen bei Problemen mit Wohnungssuche, Schulden, Sucht oder Kinderbetreuung.
Auch bei der SBB Kompetenz wird den fünf Schülern des jeweiligen Lehrgangs ein Coach zur Seite gestellt, bei dem sie Nachhilfe in Deutsch, Mathe oder Englisch nehmen und Probleme besprechen können. Ziel ist es, einen berufsqualifizierenden Abschluss in Form des Gesellenbriefs zu erhalten.
Abstecken, nähen, säubern, Reißverschluss annähen, kürzen, weiten, verengen, Futter annähen – das alles kommt auf die Lehrlinge zu. Vor der Ausbildung gibt es eine Vorbereitungsphase, bei der Deutschtests durchgeführt werden und die Arbeitslosen wieder an eine regelmäßige Tätigkeit herangeführt werden. Erst danach geht es in Berufsschule und Schneiderbetriebe.
Diese müssen sich die Umschüler übrigens meist vorher suchen. Und obwohl viele im Vorfeld eine spätere Übernahme in Aussicht stellen, komme es meistens nicht dazu, berichtet SBB-Sprecherin Barbara Heling. Die Unternehmen schöben die wirtschaftliche Lage vor.
Für die SBB-Mitarbeiterin ist das nicht verständlich. Die Teilnehmer seien eigentlich sehr leistungsfähig, da sie ans Lernen, Arbeiten und Kommunizieren gewöhnt seinen. „Es gibt Unternehmen, die Umschulungen zweitklassig finden. Die Prüfungen sind aber identisch“, beteuert Heling. Außerdem seien die Umschüler älter, die Altersspanne liege zwischen 30 und 50 Jahren. Die hätten einen anderen Blick auf das Lernen und seien mit mehr Engagement dabei als mancher Schulabgänger.
Der Nähkurs beim Grone-Netzwerk dient nur zur Vorbereitung einer Schneider-Ausbildung. „Nicht jeder, der bei uns anfängt, möchte nähen oder kann sich vorstellen, in dem Beruf zu arbeiten“, sagt Susanne Pfeiffer. Aber es sei doch schön, wenn Mütter ihren Kindern einen Knopf annähen oder hier und da mal an der Kleidung etwas enger machen könnten, „egal ob sie in dem Beruf arbeiten oder nicht“.
Wer den Beruf ergreifen wolle, müsse einen guten Blick für Entwürfe haben. Außerdem sei Feinmotorik, Geduld und Qualitätsbewusstsein gefragt. Und sie ergänzt: „Man sollte alles lieben, was man tut.“ Es ist eine Belohnung, wenn das geänderte Kleidungsstück dem Kunden passt und es ihm gefällt. Der freue sich, wenn er sich anzieht und nichts mehr kneift. „Dies ist eine Freude, aus der man Motivation schöpfen muss, weil dieser Beruf immer noch unterbezahlt ist.“
Der Bedarf für Änderungsschneider sei groß, denn die Qualität der „Stangenware“ lasse zu wünschen übrig, ist Pfeiffer überzeugt. „Die Textilindustrie produziert für Modellmaße, die ab einem gewissen Alter nicht mehr den Körpern entsprechen.“ Dann gingen Frauen dazu über, sich selbst zu kritisieren. Dabei sollten Kleider die Seele des Menschen stärken. Pfeiffer: „Man soll sich wohlfühlen und die Kleidung an sich vergessen.“