Darf man Bücher wegwerfen?
JA

TOTER BAUM Für die einen sind sie heiliges Kulturgut, für die anderen Altpapier im Regal. In Umzugskartons sind Bücher vor allem eins: sehr schwer

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

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Martin Sonneborn, 47, war bis 2005 Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“Ob man Bücher wegschmeißen darf? Man muss sogar! Zum Warmwerden erst mal fünfzig Millionen Exemplare von „Shades of Grey“, dann das neue Buch von J. K. Rowling, das dank untertäniger Mithilfe sämtlicher Medien in Werbung gar nicht investieren musste, das Geschreibsel der Ghostwriterin von Bettina Wulff (unausgepackt) auf die Kippe, die Werke des Bluffers Manfred Lütz hinterher, „Wetten Spaß“ (Frank Elstner) auf die Deponie, sämtliche unlesbar langweiligen Erinnerungen von aktiven Politikern; „Bambini sind Balsamico für die Seele“ (Sandra Limoncini) ungeprüft in die Tonne, „Acht Wochen verrückt“ (Eva Lohmann) ebenso, alles (!) von Eckart von Hirschdings und Ildikó Kürthy, besonders natürlich „Unter dem Herzen. Ansichten einer neugeborenen Mutter“. Dann ist endlich ausreichend Platz für „Quatsch. Und mehr…“ (Benjamin Schiffner/Martin Sonneborn), das passend am 9. 11. erscheint. Das Nine-Eleven des Buchmarkts!

Angelika Ridder, 53, ist Juristin und leitet seit 2008 das Goethe-Institut in FreiburgKurzes Zögern: Ja, darf man. Aber es gibt Grenzen. Es geht um die Trennung von Form und Inhalt. Nicht der Inhalt wird entsorgt – obwohl manche Bücher auch das ertragen müssten –, sondern das bedruckte Papier. Zeitungen, Magazine etc.: Niemand hat ein schlechtes Gewissen, wenn diese regelmäßig in den Müll wandern. Das Buch ist eine (manchmal) kostbarere Variante, die über weite Strecken zur Massenware geworden ist. Für mich gilt, dass nur der Eigentümer Bücher aus seinem Bestand aussortieren und sie dem Recycling übergeben darf. Verbrennen geht nicht, das wäre aus historischen Gründen für mich nicht akzeptabel.

Christine Polak, 56, verkauft in ihrer Buchhandlung in Dresden neue BücherSelbstverständlich darf man Bücher wegwerfen! Gedrucktes zwischen zwei Buchdeckeln ist kein Wert an sich. Nehmen wir den Liebesroman zweifelhafter Herkunft. Möglicherweise hatte ich in bestimmter Situation Freude daran, ihn zu lesen – dies ist aber noch lange kein Grund, ihn auf ewig in meinem Bücherregal zu archivieren. Jede ernst zu nehmende Bibliothek verdient es, regelmäßig nach Büchern durchforstet zu werden, über die die Zeit oder der Geschmack des Besitzers hinweggegangen sind.

Denis Scheck, 47, wirft in seiner Sendung („Druckfrisch“, ARD) Bücher wegWie alle in meinen Augen vernünftigen Menschen schreibe ich nur für sehr viel Geld. Das hat die taz leider nicht, deshalb kann ich auch leider nichts für Sie schreiben.

Petra Hätscher, 52, ist seit 2007 Direktorin der Universitätsbibliothek KonstanzBibliotheken sind Einrichtungen zur professionellen Bewahrung von Büchern, aber sie sind auch Einrichtungen zum professionellen Wegwerfen von Büchern. Jede Universitätsbibliothek hätte längst die Dimensionen ihrer Räume gesprengt, wenn neben dem Anschaffen von Büchern und Zeitschriften – dies übrigens immer mehr in elektronischer Form – nicht auch das Aussortieren und Wegwerfen zur täglichen Arbeit gehören würde. Vermutlich haben Bibliothekare das unverkrampfteste Verhältnis zum Buch: Es ist in erster Linie Träger von Information.

NEIN

Elke Heidenreich, 69, ist Literaturkritikerin, Autorin und ModeratorinMan darf alles wegwerfen, sogar schal gewordene Liebe. Man darf schimmeliges Brot wegwerfen und teure Seidenblusen, wenn man sie nun mal nicht mehr trägt. Aber man darf kein Buch wegwerfen. Man wird immer einen finden, der auch die blödeste „Wie wir den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten“-Geschichte noch liest, und ich hab erst mal mehr Respekt vor einem Buch als vor schimmeligem Brot und alten Seidenblusen. Aber es kommen zu viele Bücher ins Haus, sie verstopfen die Regale, die Tische, die Treppen, sie stapeln sich am Bett und im Bad, und irgendwann müssen ein paar hundert raus, weil man sonst erstickt. Dann rufe ich Stadtteilbibliotheken an, Krankenhäuser, Gefängnisse, und es kommt jemand und trägt die Bücherberge ab. Besser wäre die Frage so gestellt worden: Wird nicht viel zu viel Stuss gedruckt und veröffentlicht? Die Antwort darauf ist ganz einfach: ja.

Beata Bode, 47, lebt als Inhaberin eines Antiquariats in Erfurt vom Verkauf alter Bücher

Als Antiquarin habe ich ständig mit Menschen zu tun, welche aus irgendeinem Grund Bücher loswerden möchten. Natürlich kann ich nicht jedes Buch ankaufen. Der Satz „Na, dann werfe ich es eben weg“ kommt zu 99,9 Prozent. Ich denke jedoch, es besteht die Möglichkeit, mit diesen Überbleibseln Folgendes zu tun: Karitative Einrichtungen beschenken, Flohmarkthändler kontaktieren, Bücherpäckchen in der Weihnachtszeit wichteln, Familienfeiern (Bücherkorb in den Flur stellen), Buchspende an Schulbibliotheken, Bücherkiste im Stöberhaus abgeben. Die Zeit der Bücherverbrennung ist glücklicherweise Geschichte, zahllose Schriftsteller, Autoren und Publizisten mussten emigrieren, um schreiben zu können. Canettis „Blendung“ und weitere großartige Werke der Weltliteratur standen auf dem Index der Nationalsozialisten und landeten im Feuer. Vor einiger Zeit vernichtete ein großer Brand wertvolle Bestände der Anna Amalia Bibliothek; mal von dem finanziellen Schaden abgesehen, sind Unikate, Drucke, Bücher aus „Goethes Hand“ zerstört worden. Ein unglaublicher Verlust, der mit der Suche nach nun fehlenden Werken in Antiquariaten noch ewig andauern wird. Das nur als Beispiel, und um sich das Geschehene in Erinnerung zu rufen.

Marcel Schemien, 32, hat unsere sonntaz-Streitfrage per E-Mail kommentiertMit jedem Buch, das weggeschmissen wird, landet ein Stück Kultur im Mülleimer. Ein uninteressantes Sachbuch kann in 100 Jahren an Relevanz gewinnen, wenn der historische Zusammenhang deutlicher zu erkennen ist. Ein öder Krimi kann für den Leser 20 Jahre später, wenn er ihn noch mal aus dem Regal zieht, plötzlich ein einziges Vergnügen sein. Das verstaubte Lexikon der Oma kann wissenswerte Artikel über Stichwörter enthalten, die so heute vermutlich nicht mehr geschrieben werden würden. Selbst der Roman von Dora Heldt wird zukünftigen Generationen eine schonungslose Zustandsbeschreibung unserer derzeitigen Gesellschaft liefern. Wer ein Buch dennoch in seinem Bücherregal nicht mehr erträgt, sollte es an einem öffentlichen Ort ablegen. Irgendein Passant wird sich freuen.

Daniela Katzenberger, 26, ist Model und aus verschiedenen Doku-Soaps bekannt Nein, an manchen Büchern kleben wichtige Erinnerungen. Ein Tagebuch oder Freundschaftsbuch darf man nicht wegschmeißen. Mein Mathebuch hingegen habe ich als erstes weggeschmissen. Genauso ist es auch bei einem Physikbuch oder Hausaufgabenheft.